Ist die Idee der Integrabilität der Schlüssel zu dem, „was die Welt im Innersten zusammen hält“?

25. Juni 2009
Internationale Konferenz vom 29. Juni – 03. Juli 2009 am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) Am Mühlenberg 1, 14476 Potsdam-Golm

Wenn Physiker etwas „schön“ finden, hat das eine ganz besondere Bedeutung, denn „schöne“, also besonders schlüssige und klar zu formulierende Theorien, haben sich in der Physik oft als bahnbrechend erwiesen. Albert Einsteins E=mc2 ist dafür ein gutes Beispiel. International gilt die Idee der Integrabilität, die auf den von Hans Bethe vor 78 Jahren entwickelten „Bethe- Ansatz“ zurückgeht, als solch ein „schönes“ Phänomen. Sie könnte sich als Schlüssel zur so genannten Weltformel erweisen. Rund 140 Spitzenwissenschaftler aus aller Welt treffen sich daher jetzt zur Konferenz „Integrability in Eich- und Stringtheorien“ am Potsdamer Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI), um aktuelle Ansätze und Entwicklungen zu diskutieren. Denn: Die Integrabilität könnte Antworten auf eine der grundlegendsten Fragen der modernen Physik liefern: Wie lässt sich die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik vereinheitlichen – also verstehen, was die Welt im Innersten zusammen hält?

Integrabilität ist ein Phänomen, das gewöhnlich auf ein- oder zweidimensionale Systeme begrenzt ist. Kürzlich wurde jedoch entdeckt, dass höher dimensionale Quantenfeldtheorien ebenfalls integrabel sein können. Die dabei neu entstehenden Strukturen, wie faktorisierte S-Matrizen, Bethe-Gleichungen, thermodynamischer Bethe-Ansatz sowie Quanten-Algebra bieten viele Ähnlichkeiten mit bereits bekannten Lösungsmodellen (u.a. Heisenberg Magnete, Hubbard Modelle), benötigen jedoch ein noch zu vertiefendes Verständnis.

Die Teilnehmer und Inhalte der Konferenz
Rund 140 Festkörper-, Teilchenphysiker und Stringtheoretiker aus aller Welt werden sich mit einigen der spannendsten Fragen der theoretischen Hochenergiephysik beschäftigen. Denn im Laufe der vergangenen Jahre wurde entdeckt, dass der bereits vor 78 Jahren von dem Physiker Hans Bethe entwickelte „Bethe-Ansatz“ der Schlüssel zu dem sein könnte, „was die Welt im Innersten zusammen hält“.

Die Stringtheorie ist die wichtigste Kandidatin für eine Theorie, die Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik und dem Standardmodell der Elementarteilchen vereint. Sie basiert auf der Annahme, die kleinsten Bausteine der Materie seien eindimensionale Fäden (Strings). Wie Saiten, die zum Schwingen gebracht verschiedene Töne erzeugen, entsprechen die Schwingungen der Strings den verschiedenen Elementarteilchen.

Diskutiert wird derzeit, ob Strings aus Teilchen aufgebaut sein können und umgekehrt. Unklar ist noch, wie diese Teilchen aussehen könnten. Dabei wird immer deutlicher, dass die von Hans Bethe bereits in der Entstehungszeit der Quantenmechanik entwickelte mathematische Methode – der „Bethe-Ansatz“ – eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung von String- und Teilchenmodellen spielt.

Stringtheorien
sind die momentan weltweit bevorzugten Modelle zur Klärung einer der „letzten Fragen“ der fundamentalen Physik: Wie lässt sich Einsteins Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik und dem Standardmodell der Elementarteilchen unter einen Hut bringen? Diese Vereinigung wird prinzipiell durch die Strings erreicht, aber die genaue Definition dieser Theorien bleibt mysteriös. Auch die Frage, was genau ein String wirklich ist, bleibt offen. Um dem Geheimnis der Strings näher zu kommen, ist es sinnvoll, ihre Bewegung in einer im Vergleich zur realen Welt hochgradig idealisierten Umgebung zu studieren. Eine besonders symmetrische und mathematisch geeignete Umgebung basiert auf dem gekrümmten Anti-de-Sitter-Raum (AdS), der auch in kosmologischen Modellen eine wichtige Rolle spielt. Vor etwa zehn Jahren wurde die erstaunliche Vermutung aufgestellt, dass in diesem Fall eine duale Beschreibung durch ein bestimmtes supersymmetrisches Teilchenmodell möglich sei. Können also, im Rahmen dieser „AdS/CFT-Korrespondenz“ genannten Dualität, Strings auch Teilchen sein und umgekehrt?

Diese Teilchentheorie, die „maximal supersymmetrische Eichtheorie“, ist wiederum eine idealisierte Version genau derjenigen Theorien, die das so erfolgreiche, experimentell mit großer Genauigkeit überprüfte Standardmodell der Elementarteilchen ausmachen. Existiert ein Zusammenhang mit den Strings, so ergeben sich daher mannigfaltige Möglichkeiten unser großes Wissen in der Teilchenphysik zu nutzen, um den Strings auf die Spuren zu kommen. Umgekehrt darf man aber auch hoffen, mit Hilfe der Strings neue Untersuchungsmethoden für die mathematisch äußerst komplizierten Teilchentheorien, und insbesondere für die Theorie der starken Kernkräfte, zu entwickeln. Denn: Trotz der großen Erfolge bei der Berechnung der experimentellen Konsequenzen des Standardmodells bleiben derzeit noch viele Fragen offen, bei denen die bisher zur Verfügung stehenden mathematischen Methoden vollkommen versagen.

Der „Bethe-Ansatz“ in Stringtheorie und Teilchenphysik – übersehene Symmetrien
Die Entdeckung von Bethes integrablen Strukturen in diesem Spannungsfeld zwischen Strings und Teilchen ist daher ein unerwartetes Geschenk, und die Konferenz am Albert-Einstein-Institut setzt sich zum Ziel, die Konsequenzen der daraus entstehenden neuen Rechenmethoden interdisziplinär zu nutzen. Insbesondere darf man sich nun für die nahe Zukunft einen konstruktiven Beweis der AdS/CFT- Korrespondenz erhoffen, mit den bereits erwähnten Auswirkungen für unser Verständnis der fundamentalen Interpretation der Strings, sowie für die Entwicklung neuer quantitativer Methoden zur Analyse der theoretischen Bauteile des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Entdeckung von Bethes lösbaren Strukturen im Bereich der Hochenergiephysik auch letztlich wieder der Festkörperphysik zugute kommt. Anlass zu dieser Hoffnung geben die äußerst subtilen und schönen, aus der String- und Eichtheorie stammenden Symmetrien, die bisher in der Theorie der Festkörper übersehen wurden.

Internationale Zusammenarbeit
Das im Rahmen der Konferenz am AEI diskutierte Thema ist ein herausragendes Beispiel für exzellente Grundlagenforschung in Europa: Die neuartige Anwendbarkeit des „Bethe-Ansatzes“ wird über die Fachgrenzen hinweg vor allem in europäischen Kollaborationen erforscht – sie sind weltweit federführend auf diesem Gebiet. An den formellen und informellen Forschungsnetzwerken sind neben dem Potsdamer AEI unter anderem die Universität Uppsala/Schweden, die ENS Paris/Frankreich, Universität Utrecht/Niederlande, Trinity College, Dublin/Irland, die Universidad Autonoma in Madrid/Spanien, das Niels Bohr Institut Kopenhagen/Dänemark sowie die Universität Krakau/Polen beteiligt.

Experten am AEI
Mit Niklas Beisert und Matthias Staudacher forschen am AEI zwei international anerkannte Experten für Eich- und Stringtheorie. Matthias Staudacher erhielt für seine Arbeiten auf diesem Gebiet gerade den renommierten Akademiepreis der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Niklas Beisert wurde 2007 mit der prestigeträchtigen Gribov-Medaille der European Physical Society ausgezeichnet.

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