Gammastrahlen-Finsternisse werfen neues Licht auf Spinnenpulsare
Sieben seltene Doppelsterne identifiziert und fünf Neutronensterne gewogen
Seit Jahrtausenden beobachtet die Menschheit das kosmische Finsternis-Ballett. Sonnen- und Mondfinsternisse, die der Jupitermonde und Sternbedeckungen durch Planeten und Asteroiden haben außerdem neue physikalische Messungen ermöglicht und Erkenntnisse über unser Universum geliefert. Mit Hilfe des NASA-Weltraumteleskops Fermi haben Astronom:innen nun sieben seltene Doppelsternsysteme identifiziert, in denen ein Neutronenstern von seinem Begleitstern verfinstert wird. So konnte das internationale Forschungsteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover diese Neutronensterne wiegen. Ihre Ergebnisse wurden heute in Nature Astronomy veröffentlicht. Die genaue Bestimmung der Masse von Neutronensternen verbessert unser Verständnis von Materie unter extremen Bedingungen und hat Bedeutung für die Fundamentalphysik. In Zukunft könnten diese sieben Doppelsternsysteme neue Möglichkeiten bieten, Effekte von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie zu beobachten.
„Wir haben sieben Doppelsternsysteme gefunden, in denen ein Gammapulsar von seinem Begleitstern verfinstert wird. Damit können wir die Massen von fünf dieser Pulsare genau bestimmen“, sagt Colin Clark, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover und Erstautor der heute in Nature Astronomy veröffentlichten Studie. „Dies wurde erst jetzt durch die sorgfältige Analyse von Daten des Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA möglich. Jede einzelne Massenbestimmung ist ein wichtiger Datenpunkt für die Fundamentalphysik.“
Neutronensterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und bestehen aus exotischer, extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von etwa 20 Kilometer und mehr Masse als unsere Sonne. Aufgrund ihrer starken Magnetfelder und ihrer schnellen Rotation senden sie Radiowellen und energiereiche Gammastrahlen aus – ähnlich einem kosmischen Leuchtturm. Wenn diese Strahlenkegel während der Rotation des Neutronensterns auf die Erde gerichtet sind, wird er als pulsierende Radio- oder Gammastrahlenquelle sichtbar: als Radio- oder Gammapulsar.
Spinnenähnliche Pulsare
„Spinnenpulsare“ sind sehr selten: Weniger als 100 der fast 3.200 bekannten Pulsare gehören zu dieser außergewöhnlichen Spezies im Pulsarzoo. Sie bestehen aus einem Pulsar in einem Doppelsternsystem mit einem leichtgewichtigen Begleiter. Der Pulsar verdampft seinen Begleitstern mit seiner Strahlung und einem Teilchenwind und zerstört ihn mit der Zeit vollständig. Diese „Schwarze Witwe“- oder „Redback“-Pulsare sind nach Spinnen benannt, deren Weibchen dafür bekannt sind, ihre leichteren Partner zu töten.
Das vom Begleiter weggeblasene Material füllt das Doppelsternsystem mit Plasma, das für Radiowellen undurchdringlich ist. Die energiereiche Gammastrahlung des Pulsars durchdringt das Plasma und kann vom Large Area Telescope (LAT) an Bord des Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA beobachtet werden.
Ein Doppelsternsystem auf der Waage
Fermis LAT spürt einzelne Gammaphotonen von diesen Pulsaren auf. Durch Beobachtungen über viele Jahre hinweg lässt sich ein genaues Bild der Bahnbewegung des Pulsars zeichnen. Zusammen mit optischen Messungen der Bewegung des Begleiters ermöglicht dies den Forschenden, die Massen beider Objekte im System zu ermitteln.
Die Massenschätzungen hängen jedoch stark von einer unbekannten Größe ab: der „Inklination“, dem Neigungswinkel unter dem wir auf die Umlaufbahn des Doppelsternsystems blicken. „Wir können nur die Vorwärts- und Rückwärtsgeschwindigkeit eines Sterns messen, nicht aber seine Geschwindigkeit von einer Seite zur anderen. So können wir nicht zwischen einer großen Umlaufbahn, die wir von vorne sehen, und einer kleineren Umlaufbahn, die wir von der Seite sehen, unterscheiden“, erklärt Clark.
Die Inklination lässt sich mithilfe optischer Beobachtungen des Begleiters ermitteln. Dessen scheinbare Helligkeit verändert sich während eines Umlaufs, je nachdem, welche Seite der Erde zugewandt ist. Der Pulsar heizt eine Seite des Begleiters auf, die dann heller und bläulicher erscheint. Der Begleiter wird außerdem durch die Anziehungskraft des Pulsars verformt, wodurch sich seine scheinbare Größe während des Umlaufs ändert. Diese Beobachtungen werden mit astrophysikalischen Modellen des Systems kombiniert, was eine Messung der Inklination ermöglicht.
„Leider scheinen die Modelle in einigen Fällen nicht die komplizierte Realität abzubilden, wie heiß der Begleiter auf welchem Teil seiner Oberfläche ist. Wir haben gesehen, dass diese Temperaturverteilung auch über die Zeit variieren kann“, sagt Rene Breton, Professor für Astrophysik an der Universität Manchester und Koautor der Veröffentlichung. „Da die Realität viel komplexer ist als die Modelle, sind Massenschätzungen, die auf optischen Beobachtungen beruhen, nicht immer ganz vertrauenswürdig.“
Aber es gibt eine mögliche Lösung für dieses Problem. „Beobachtet man ein System, in dem der Begleiter den Pulsar verfinstert, dann weiß man unmittelbar, dass wir das Doppelsternsystem fast genau von der Seite – in der Bahnebene – beobachten“, erklärt Clark. „Mit den Finsternisbeobachtungen können wir die Inklination sicher bestimmen.“
Sieben Entdeckungen
Das Forschungsteam untersuchte die Daten aus mehr als 11 Jahren Fermi-LAT-Beobachtungen, um Pulsare eines besonders seltenen Typs zu entdecken: Spinnenpulsare, bei denen der Begleitstern den Gammapulsar verfinstert. Die Astronom:innen analysierten die Fermi-LAT-Beobachtungen von 49 Spinnenpulsar-Systemen und entdeckten bei 7 von ihnen Finsternisse.
Die Dauer der entdeckten Finsternisse ermöglichte es den Wissenschaftler:innen, die Neigung der Umlaufbahn unabhängig zu bestimmen. Wenn eine Finsternis beobachtet und die Bahnbewegungen des Begleiters und des Pulsars gemessen werden, lässt sich mithilfe der Mindestdauer der Finsternis eine Obergrenze für die Masse des Pulsars bestimmen. Aus dem Ausbleiben einer Finsternis kann auf eine Untergrenze für die Pulsarmasse geschlossen werden.
Fünf gewogene Neutronensterne und eine Überraschung
Bei zwei der sieben entdeckten Doppelsysteme mit Finsternissen steht die Bestätigung des Neutronensterns als Pulsar noch aus. So konnte bei ihnen die Bahnbewegung des vermuteten Pulsars nicht ermittelt werden und eine Massenbestimmung war nicht möglich. Bei vier der verbleibenden fünf Doppelsternsysteme stimmen die neuen unabhängigen Messungen der Neigungswinkel und damit die Massenschätzungen mit früheren Ergebnissen überein, die auf optischen Beobachtungen und der Modellierung des Begleiters beruhen.
Ein System – der erste jemals entdeckte Spinnenpulsar – hielt für das Team eine Überraschung bereit. Um die beobachteten Finsternisse zu erklären, kann die Neigung seiner Bahnebene um höchstens 6 Grad von der Sichtlinie des Weltraumteleskops Fermi abweichen. Das wiederum bedeutet, dass der Pulsar nicht mehr als das 1,8-fache unserer Sonne wiegen kann. Frühere optische Beobachtungen und Modellierungen deuteten auf eine außergewöhnlich hohe Pulsarmasse von 2,4 Sonnenmassen hin. Der neue niedrigere Wert stimmt besser mit den höchsten präzise gemessenen Neutronensternmassen überein.
Einsteins Theorie in Aktion beobachten
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die von ihnen identifizierten Gammapulsare mit Verfinsterungen noch einen weiteren, exotischeren Effekt aufweisen könnten, der bislang noch nie beobachtet wurde. Wenn der Begleiter den Pulsar verfinstert, muss der Pulsar selbst eine halbe Umlaufbahn später vor seinem Begleitstern vorbeiziehen. „Aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie wissen wir, dass die starke Schwerkraft des Neutronensterns das Licht des Begleiters wie eine Linse ablenkt und dass dies dessen scheinbare Helligkeit vorübergehend erhöht“, sagt Clark. Die Beobachtung dieses Effekts würde eine weitere unabhängige Messung der Pulsarmasse ermöglichen. Man geht jedoch davon aus, dass er zu klein ist, um ihn leicht nachzuweisen. „Um den Gravitationslinseneffekt des Neutronensterns aus den Beobachtungen herauszukitzeln, sind extrem empfindliche Beobachtungen und eine sorgfältige Analyse erforderlich. Aber es könnte an der Grenze dessen liegen, was mit der derzeitigen Technologie machbar ist, obwohl wir im Prinzip wissen, wie man das macht“, fügt Clark hinzu.