Mit Gravitationswellen rätselhafte Magnetare und Radioblitze verstehen
Daten des deutsch-britischen Detektors GEO600 helfen, die Entstehungsprozesse dieser extremen kosmischen Ereignisse zu verstehen.
Ein nur wenige Tausendstelsekunden langes Aufflackern von Radiowellen, das so hell wie Millionen oder Milliarden Sterne ist, und schon ist alles vorbei: Schnelle Radioblitze gehören auch fast 20 Jahre nach ihrer Entdeckung noch immer zu den rätselhaftesten Phänomenen in unserem Universum. Gesichert scheint, dass Neutronensterne – kleine und extrem dichte Sternenreste mit gewaltigem Magnetfeld – die Blitze aussenden. Nun untersuchte ein internationales Team mithilfe von Gravitationswellen einen besonders nahen Neutronenstern, der gleich mehrere Radioblitze abstrahlte. Die Forschenden werteten dazu Daten des deutsch-britischen Detektors GEO600 aus, um mehr über die Entstehung dieser Ereignisse zu erfahren. Ihre Ergebnisse helfen dabei diese Extremereignisse besser zu verstehen und deren theoretische Beschreibung zu verfeinern.
Spezielle Radioteleskope beobachten regelmäßig schnelle Radioblitze aus den Tiefen des Universums, weit außerhalb der Milchstraße. Astronom*innen gehen davon aus, dass sie von Neutronensternen stammen. Diese sind Überreste von Supernova-Explosionen und vereinen große Massenanteile ihres Vorgängersterns in einer Kugel von nur etwa 20 Kilometern Durchmesser. Das bedeutet: Ein Teelöffel eines solchen Sternüberrests würde auf der Erde mehr als eine Milliarde Tonnen wiegen.
Wie Neutronensterne Radioblitze aussenden, ist noch nicht vollständig geklärt. Forschende vermuten, dass ihre extrem starken Magnetfelder eine zentrale Rolle spielen. Denn unter den Exemplaren mit den stärksten Feldern – den Magnetaren – gibt es welche, die wiederholt Radioblitze aussenden und gleichzeitig auch im Röntgenlicht aufleuchten. Dahinter stecken vermutlich Beben des Sterns, die sich ereignen, wenn sich Spannungen in seiner Kruste lösen. Die dabei freigesetzte Energie hat ein Doppelwirkung: Sie erschüttert nicht nur das Magnetfeld des Neutronensterns und löst damit die Radioblitze und das Röntgenleuchten aus, sondern bringt auch den gesamten Sternenüberrest zum Schwingen.
Beschleunigte Massenbewegungen wie die des vibrierenden Neutronensterns erzeugen nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie Gravitationswellen. Diese Kräuselungen der Raumzeit breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit von ihrem Entstehungsort aus und dehnen und stauchen den Raum minimal. Kilometergroße Messstationen rund um den Globus zeichnen diese winzigen Effekte seit mehr als neun Jahren regelmäßig und routinemäßig mit Laserlicht auf und beobachten so unser Universum auf eine neue Art und Weise.
„Nahezu zeitgleich schnelle Radioblitze und Gravitationswellen von einem Magnetar zu beobachten, wäre der Beweis nach dem wir seit langem suchen“, sagt James Lough, leitender Wissenschaftler des deutsch-britischen Gravitationswellen-Detektors GEO600 am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover. Damit ließe sich der gemeinsame Ursprung in den Sternbeben des Neutronensterns bestätigen. „Deshalb haben wir mit einem internationalen Team Daten untersucht, die wir mit GEO600 aufgezeichnet haben, während ein Magnetar vor unserer kosmischen Haustür schnelle Radioblitze ausgesandt hat“, fügt Lough hinzu.
Der Magnetar mit der Bezeichnung SGR 1935+2154 befindet sich in unserer Milchstraße in einer Entfernung von etwa 20.000 Lichtjahren. So nah am Entstehungsort sind mögliche Gravitationswellen vergleichsweise stark und ihre Auswirkungen leichter zu beobachten. Zwischen Ende April 2020 und Mitte Oktober 2022 sendete SGR 1935+2154 in drei Zeiträumen schnelle Radioblitze aus. Zu allen Zeitpunkten lauschte GEO600, die Technologieschmiede der internationalen Kollaboration, ins All.
„Es war entscheidend, dass GEO600 weiter beobachtet hat, während alle anderen Detektoren in einer Ausbauphase waren“, erklärt Lough. „Nur so konnten wir während der starken Aktivität des Magnetars Daten eines Gravitationswellen-Detektors aufnehmen.“
Nachdem das Forschungsteam alle GEO600-Daten rund um die Zeitpunkte der schnellen Radioblitze sorgfältig durchsucht hatte, fanden sich keine Spuren von Gravitationswellen. Da die Entfernung zu SGR 1935+2154 jedoch so gering ist, lieferte auch die fehlende Beobachtung neue Erkenntnisse: Die maximal mögliche Gravitationswellen-Energie, die bei den schnellen Radioblitzen abgestrahlt wurde, ohne als nachweisbares Signal aufzufallen, muss um einen Faktor von bis zu 10.000 kleiner gewesen sein, als Astronom*innen nach bisherigen Auswertungen geschlossen hatten. Diese basierten auf Daten der größeren und empfindlicheren Detektoren LIGO und Virgo.
Noch sind die Gravitationswellen-Messungen nicht empfindlich genug, um zwischen den verschiedenen Modellen für die Entstehung von Gravitationswellen bei schnellen Radioblitzen zu unterscheiden. Aber bereits jetzt liefern sie Informationen, die theoretischen Physiker*innen helfen, ihre Modelle dieser extremen kosmischen Ereignisse zu verfeinern.
„Es könnte schon bald richtig spannend werden. Wir hoffen, dass der Magnetar, der seit zwei Jahren ruhig ist und keine Radioblitze mehr abgegeben hat, in den nächsten Monaten wieder aktiv wird“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI und Direktor des Instituts für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover. Der aktuelle Beobachtungslauf des internationalen Detektornetzwerks dauert noch bis Juni 2025. „Mit den Daten der empfindlicheren Instrumente können wir noch genauer untersuchen, ob die schnellen Radioblitze der Magnetare von Gravitationswellen begleitet werden und damit vielleicht ein sehr altes Rätsel lösen“, so Danzmann.