Quetschlicht bringt Virgo-Spiegel zum Zittern

Quantenmechanischer Effekt erstmals im Gravitationswellen-Detektor Advanced Virgo nachgewiesen

22. September 2020

Die Quantenmechanik beschreibt nicht nur wie die Welt im Kleinsten funktioniert, sondern hat auch Auswirkungen auf die Bewegung makroskopischer Objekte. Ein internationales Forschungsteam, darunter vier Wissenschaftler vom MPI für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) und der Leibniz Universität in Hannover, hat gezeigt, wie sie durch den gezielten Einsatz quantenmechanischer Effekte die Bewegung der mehr als 40 kg schweren Spiegel im Gravitationswellen-Detektor Advanced Virgo beeinflussen können. Zentral für ihr heute in Physical Review Letters veröffentlichtes Experiment ist eine Quetschlicht-Quelle, entwickelt und gebaut am AEI Hannover, die besonders präparierte Laserstrahlung erzeugt und im Messbetrieb zur Verbesserung der Detektorempfindlichkeit dient.

Die quantenmechanische Welt von Wahrscheinlichkeiten und Unschärfen regiert auch das Verhalten der kilometergroßen Gravitationswellen-Detektoren Advanced LIGO, Advanced Virgo und GEO600. Die Empfindlichkeit dieser hochpräzisen Instrumente für die – beispielsweise von fernen Verschmelzungen Schwarzer Löcher verursachten – Gravitationswellen ist heutzutage durch quantenmechanisches Hintergrundrauschen begrenzt.

Heisenbergs Unschärfe begrenzt die Detektoren

In den Detektoren wird mittels Laserlicht die Position von Spiegeln über kilometerlange Laufstrecken mit höchster Präzision vermessen. Selbst in Abwesenheit jeglicher Gravitationswellen-Signale oder Störquellen würden diese Positionsmessungen der Spiegel ein leichtes Zittern zeigen.

Ursache ist die Heisenbergsche Unschärferelation. Nach diesem Grundpfeiler der Quantenmechanik sind gleichzeitige Messungen zweier zusammenhängender Größen nicht beliebig genau möglich, sondern unscharf. Die Ungenauigkeit der Messung einer der beiden Größen kann jedoch verringert werden – aber nur auf Kosten einer größeren Ungenauigkeit bei Messung der anderen Größe.

In Gravitationswellen-Detektoren wird in der Regel das Schrotrauschen – das Prasseln der zufällig und unregelmäßig eintreffenden Lichtteilchen – verringert. Dieser Kunstgriff ist notwendig, weil das quantenmechanische Hintergrundrauschen die Empfindlichkeit der Detektoren bei hohen Messfrequenzen begrenzt, mit der diese in den Kosmos lauschen.

Nichts ist umsonst

Verringertes Schrotrauschen resultiert nach der Unschärferelation jedoch in erhöhtem Strahlungsdruckrauschen. Die Kraft, mit der der Strom der Lichtteilchen auf die Spiegel drückt, schwankt dann stärker. Infolgedessen wackeln die Spiegel allein aufgrund der Auswirkungen der Quantenmechanik stärker hin und her.

„Nichts ist umsonst: Verringert man das quantenmechanische Hintergrundrauschen bei hohen Frequenzen mit Hilfe derzeitiger Quetschlichtquellen, so zahlt man dafür einen Preis. Und dieser Preis ist ein erhöhtes Quantenrauschen – und damit verringerte Messgenauigkeit – bei tieferen Frequenzen“, erklärt Moritz Mehmet, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Hannover.

Schwere Spiegel schwanken

Bislang war dieser Anstieg des Strahlungsdruckrauschens in Gravitationswellen-Detektoren durch andere technische Rauschquellen verdeckt. Erst jetzt gelang dieser Nachweis durch den Einsatz von Quetschlichtquellen und die Verringerung der anderen Rauschquellen im dritten Beobachtungslauf (April 2019 bis März 2020) von Advanced LIGO und Advanced Virgo.

„Verwenden wir besonders stark gequetschtes Licht, so sehen wir eindeutig ein zusätzliches Zittern der 42 Kilogramm schweren Spiegel im Advanced-Virgo-Detektor – also wirklich makroskopischer Objekte – bei tiefen Frequenzen. Grund dafür sind quantenmechanische Effekte.“, so Henning Vahlbruch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Hannover.

Die erstaunliche Messung gelingt nur, weil die Forscher*innen in der Lage sind, die Schwankungen der Spiegelposition auf weniger als einen Tausendstel Protonendurchmesser genau zu bestimmen. Vorherige Messungen dieses Effekts in Laborexperimenten basierten auf Massen, die 10 Millionen mal leichter als die Advanced-Virgo-Spiegel waren.

Quetschlicht-Pionier GEO600

Seit 2010 kommt beim deutsch-britischen Detektor GEO600 eine Quetschlicht-Quelle zum Einsatz. GEO600 spielt eine Pionierrolle in diesem Gebiet. Im dritten gemeinsamen Beobachtungslauf (April 2019 bis Ende März 2020) setzten die beiden Advanced-LIGO-Detektoren und der Advanced-Virgo-Detektor ebenfalls Quetschlicht ein. Am Advanced-Virgo-Instrument wird dabei eine Quetschlicht-Quelle verwendet, die auf dem bei GEO600 erprobten Design basiert und am AEI Hannover entwickelt und gebaut wurde.

In der Zukunft müssen die Quetschlichtquellen modifiziert werden, um die Empfindlichkeit der Gravitationswellen-Detektoren weiter zu steigern. Die von ihnen erzeugte besonders präparierte Laserstrahlung darf nicht länger bei allen Frequenzen gleich beschaffen sein. Ihre Eigenschaften müssen so eingestellt sein, dass sie das quantenmechanische Rauschen sowohl bei hohen als auch tiefen Frequenzen verringert. Die Entwicklung dieses frequenzabhängigen Quetschens läuft bereits in der weltweiten Gemeinschaft der Gravitationswellen-Forscher*innen und auch bei GEO600. Erste experimentelle Demonstrationen gelangen zwei Gruppen im Frühjahr 2020.

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