Strings '99 - Auf der Suche nach der Weltformel

27. Juli 1999
Eine Woche lang, vom 19. - 24. Juli 1999, berieten 380 führende theoretische Physiker aus aller Welt auf der Tagung Strings '99 in Potsdam über die neuesten Entwicklungen in der String Theorie. An die String Theorie knüpfen sie die Erwartung, die Gravitation mit der Quantentheorie zu vereinigen und damit die "Weltformel" der Physik zu finden. Mit Strings '99 war es Prof. Hermann Nicolai, dem Leiter der Tagung und Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), gelungen, die weltweit bedeutendste Konferenz auf diesem Gebiet erstmals nach Deutschland zu holen. "Diese Konferenz war eine großartige Reklame für das Albert-Einstein-Institut und die Universität Potsdam, aber auch für Potsdam, Berlin und die neuen Bundesländer, und nicht zuletzt für die Stringtheorie selbst." Das Neue Palais der Universität Potsdam, direkt am Park von Schloß Sansscouci gelegen, erwies sich als idealer Tagungsort, der den Konferenzteilnehmer erlaubte, in den Tagungspausen in die faszinierende Kulturlandschaft Potsdams einzutauchen.

Grundlagen
Eine grundlegende Rolle in der Physik spielen die Begriff "Materie" und "Kraft".
Materie
Alle Materie setzt sich zusammen aus Urbausteinen, den Leptonen und Quarks.
Kraft
Nach heutiger Erkenntnis existieren vier fundamentale Kräfte, welche zwischen den Bausteinen der Materie wirken (der Begriff "Kraft" wird in der modernen Physik generell durch "Wechselwirkung" ersetzt).

Schwerkraft (Gravitation)
Sie ist aus dem Alltag bekannt, hält uns auf dem Boden unseres Heimatplaneten und ist für die großräumige Struktur des Universums sowie die Verteilung der darin befindlichen Materie (Sterne und Galaxien) verantwortlich.

Elektromagnetismus
Elektromagnetische Wechselwirkungen sind ebenfalls aus dem Alltag bekannt. Sie spielen "im Kleinen", also bei molekularen und atomaren Abständen die entscheidende Rolle. So lassen sich unter Zuhilfenahme der Quantentheorie nahezu sämtliche Phänomene der Atom- und Molekülphysik sowie der Chemie auf sie zurückführen.

Schwache Wechselwirkung
Die schwache Wechselwirkung verursacht die radioaktiven Zerfälle und ist bedeutsam für die Prozesse, die sich im Innern der Sonne abspielen.

Starke Wechselwirkung (Kernkraft)
Die starke Wechselwirkung wirkt nur im Atomkern. Dennoch ist sie entscheidend für unsere Existenz, denn sie überwindet die gewaltigen elektrischen Abstoßungskräfte, die aufgrund gleicher Ladungen zwischen den Protonen im Atomkern wirken. Sie hält so die Kernbausteine - und somit uns - zusammen.

Möglicherweise existieren noch weitere unentdeckte Wechselwirkungen. Die Fahndung nach einer "fünften Kraft" blieb bisher jedoch ohne Erfolg.

Erste Schritte der Vereinheitlichung
Ein entscheidender Schritt zur Vereinheitlichung bestand in der Entwicklung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik, in deren Rahmen die vorher beschriebene Unterscheidung zwischen Kraft und Materie ihre Bedeutung verliert. Denn sie ordnet der starken, schwachen und elektromagnetischen Kraft ein Elementarteilchen (so genannte Vektorbosonen) als Träger zu. So wird z. B. die elektromagnetische Wechselwirkung durch den Austausch von Photonen verursacht.
Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik stellt unter allen bekannten Theorien die umfassendste Beschreibung physikalischer Phänomene dar. Da es jedoch zentrale Fragen unbeantwortet lässt, handelt es sich wahrscheinlich nicht um eine endgültige Theorie.
Darüber hinaus treten bei der Behandlung des Standardmodells im Rahmen der Quantentheorie Schwierigkeiten auf, denn bei der Berechnung von elementaren Prozessen stößt man auf Unendlichkeiten (Divergenzen) in den mathematischen Ausdrücken. So wird die Masse (Eigenenergie) des Elektrons bei naiver Rechnung unendlich groß. Diese Fragestellung wurde mit dem in den vergangenen vierzig Jahren entwickelten Renormierungsverfahren gelöst. Es führt zu den genauesten bestätigten Vorhersagen der Physik (anomales magnetisches Moment des Elektrons) und funktioniert sowohl bei der Anwendung auf die Quantenelektrodynamik als auch auf die starken und schwachen Wechselwirkungen.

Allerdings versagt es bei der Anwendung auf die Gravitation völlig. Hier treten neue Divergenzen auf, deren Beseitigung mit den bisherigen Verfahren nicht möglich ist. Damit verliert die quantentheoretisch behandelte Gravitation jegliche Vorhersagekraft, Quantentheorie und Gravitation scheinen sich nicht zu „vertragen“.

Warum müssen Quantentheorie und Gravitation unter einen Hut gebracht werden?
Effekte der Quantengravitation werden erst bei unvorstellbar kleinen Abständen wirksam. Damit stellt sich die Frage, ob für eine Quantentheorie der Gravitation überhaupt Bedarf besteht. Warum kann man nicht mit einer mathematisch inkonsistenten Theorie leben, solange deren innere Widersprüche auf unbeobachtbar kleine Größenbereiche beschränkt ist?
Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie wird die Struktur der Raum-Zeit wesentlich durch die Materieverteilung bestimmt. Daher erscheint es nicht möglich, der Vorstellung auszuweichen, dass die Quantentheorie letztlich auf die Raum-Zeit zurückwirkt.
Für die Unumgänglichkeit der quantentheoretischen Behandlung der Gravitation spricht ferner das (wahrscheinlich häufige) Vorkommen "schwarzer Löcher" im Weltall, in deren Zentrum die klassische Raum-Zeit in einer Singularität endet.
So bleibt als Ausweg nur die Suche nach einer neuen Theorie, die das Standardmodell und die Allgemeine Relativitätstheorie als Grenzfälle enthält, deren mathematische Widersprüche aber überwindet.

Die Stringtheorie als Lösungsansatz
Die Superstringtheorie bietet dafür den meistversprechenden Ansatz. Sie könnte sowohl die Quantentheorie als auch die Gravitation "unter einen Hut bringen", denn sie interpretiert die Elementarteilchen als verschiedene Anregungszustände eines einzigen fadenförmigen Gebildes. Man kann es sich als eine winzige (Durchmesser etwa 10-³³ cm) schwingende Saite (engl. "String" = Saite) vorstellen. Damit unterscheidet sie sich grundsätzlich von der herkömmlichen Quantenfeldtheorie, die die Elementarteilchen als punktförmige Objekte behandelt.
Der Vorteil der Annahme von fadenförmigen Elementarteilchen liegt darin, dass die vorher beschriebenen Widersprüche vermieden werden. Die Superstringheorie liefert in beliebigen Ordnungen stets endliche Resultate. Dabei tragen die unendlich vielen weiteren "Schwingungsanregungen" des Superstrings in der Rechnung gerade so bei, dass sich alle Divergenzen aufheben.

Ist der Ursprung der Materie geklärt?
Erstaunlich ist nun, dass die übrigbleibenden masselosen Zustände, die den "Niedrigenergiesektor" bevölkern, in einigen Versionen der Superstringtheorie dem beobachteten Spektrum der Elementarteilchen recht nahe kommen und auch deren "Händigkeit" (Chiralität) aufweisen. Diese Erfolge haben Hoffnungen keimen lassen, dass die Theorie nicht nur den Widerspruch zwischen Quantentheorie und Gravitation aufzulösen vermag, sondern vielleicht auch den Ursprung der Materie erklären kann.

Eine radikale Modifikation der Raum-Zeit-Konzepte ist erforderlich
Trotz ihrer Unvollständigkeit stellen die bisher erzielten Ergebnisse bewährte Grundprinzipien der Quantenfeldtheorie in Frage und erzwingen wahrscheinlich eine radikale Modifikation der herkömmlichen Raum-Zeit-Konzepte bei extrem kleinen Abständen. Erwartet wird, dass in einer Theorie der Quantengravitation der Begriff des Raum-Zeit-Punktes und damit der Begriff des Raum-Zeit-Kontinuums durch ein übergeordnetes Konzept ersetzt wird. Ebenso wie der Begriff der Bahn eines Elektrons im Rahmen der Quantentheorie seinen Sinn verliert. Vermutlich wird in einer solchen Theorie auch die vertraute Unterscheidung zwischen Raum-Zeit und Materie hinfällig. Bisher haben allerdings die enormen mathematischen und begrifflichen Schwierigkeiten alle Versuche vereitelt zu verstehen, was "wirklich passiert", wo Raum und Zeit ihre Gültigkeit verlieren.

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