Neues virtuelles Labor für kollidierende Neutronensterne

Hochleistungscomputer soll zum ersten Mal ermöglichen, gleichzeitig Gravitationswellen, Magnetfelder und Neutrinophysik von Neutronensternen zu simulieren.

10. Juli 2019

Die Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam hat einen neuen Großrechner mit 11.600 CPU-Kernen in Betrieb genommen. Der Hochleistungscluster Sakura bei der Max Planck Computing and Data Facility (MPCDF) in Garching wird für numerisch-relativistische Simulationen energiereicher astrophysikalischer Ereignisse eingesetzt.

Wenn Neutronensterne in Supernovae entstehen oder Äonen Jahre später miteinander verschmelzen, werden große Mengen elektromagnetischer Wellen, Neutrinos und Gravitationswellen abgestrahlt. Die zugrunde liegenden astrophysikalischen Prozesse sind bislang nicht gut verstanden und erfordern die Lösung hochkomplexer, nichtlinearer, partieller Differentialgleichungen. Mit Sakura wollen die Wissenschaftler*innen physikalisch genaue, hochauflösende Simulationen durchführen und so verschmelzende Doppelneutronensterne und die Bildung schwarzer Löcher besser verstehen.

In der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am AEI werden numerisch-relativistische Simulationen astrophysikalischer Ereignisse berechnet, die sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Strahlung erzeugen. Dafür werden Einsteins Gleichungen und Gleichungen von Materie in der allgemeinen Relativitätstheorie auf Hochleistungsrechnern gelöst. Mit diesen Simulationen lassen sich genaue Gravitationswellenformen für die Suche in den Detektordaten vorhersagen und hochenergetische Phänomene wie Gammastrahlenausbrüche und Kilonovae erforschen. Mit leistungsfähigeren Computern können die Wissenschaftler*innen kompliziertere Physik berücksichtigen, und so astrophysikalischen Phänomene detaillierter untersuchen. Eines der ehrgeizigen Ziele der Forscher*innen ist es, eine physikalisch genaue und hochauflösende Simulation verschmelzender Doppelneutronensterne durchzuführen, um diesen Vorgang zu verstehen.

„Hochleistungs-Computercluster sind unsere virtuellen Labore“, sagt Masaru Shibata, Direktor der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik. „Wir können keine Neutronensterne in einem echten Labor erzeugen, sie verschmelzen lassen und beobachten, was dabei passiert. Aber wir können vorhersagen, was während und nach des Zusammenstoßes von zwei Neutronensternen passieren wird. Dafür berücksichtigen wir alle wichtigen Prozesse und lösen ganz akkurat die entsprechenden Gleichungen, die ihr Verhalten beschreiben. Diese Berechnungen erfordern einen enormen Rechenaufwand und dauern oft mehrere Monate lang, auch auf sehr leistungsfähigen Rechnern. Mit Sakura verfügen wir nun über 11.600 CPU-Kerne mit 0,92 petaFLOP/s Rechenleistung für diese numerischen Simulationen.“

Bei bisherigen Berechnungen gelang es nie, die Auswirkungen von Magnetfeldern und die Neutrinophysik gleichzeitig in derselben Simulation zu berücksichtigen. Masaru Shibata erklärt: „Abgesehen davon, dass der Code noch weiter entwickelt werden muss, spielen die Rechenressourcen eine entscheidende Rolle. Mit dem neuen Großrechner sollen Magnetfelder und Neutrinophysik in unsere Simulationen einfließen und so ein vollständiges Bild der Physik von Neutronensternverschmelzungen ergeben.“

Neben dem neuen Hochleistungs-Computercluster Sakura (Japanisch für „Kirschblüte“) in Garching betreibt die Abteilung zwei kleinere Rechenserver am AEI in Potsdam: „Yamazaki“ (das japanische Wort für „Berge“) und „Tani“ (auf Japanisch „Tal“). „Wir führen weniger aufwändige Aufgaben auf kleineren Computern durch“, erklärt Masaru Shibata. „Die Computer vor Ort nutzen wir für die Entwicklung der Rechenmethoden und für Testläufe.“ Die lokale Infrastruktur wird auch für die Datenanalyse der im Garchinger Rechenzentrum durchgeführten Simulationen benötigt.

Technische Daten

Sakura ist Teil der Infrastruktur des MPCDF Rechenzentrums in Garching und in ein schnelles Omnipath-100-Netzwerk und 10Gb-Ethernet-Verbindungen integriert. Es besteht aus Managementknoten (head nodes) mit Intel Xeon Silver Prozessoren mit 10 Kernen und 192 GB bis 384 GB Hauptspeicher sowie Rechenknoten mit Intel Xeon Gold 6148 CPUs.

Der Yamazaki-Rechner in Potsdam besteht aus 13 eigenständigen Knoten mit Intel Xeon Gold QuadCore Prozessoren (18 Kerne pro Prozessor, 4 Prozessoren pro Server) und 192 bis 256 GB Hauptspeicher.

Für die Speicherung, Bearbeitung und Analyse kleinerer Teile der riesigen Datenmengen der Simulationen vom Garchinger Cluster (60 Terabyte pro Vierteljahr) wird am AEI in Potsdam ein 500-TB-Speicherrechner namens Tani (2 JBODS mit 60 Festplatten, je 10 TB in einer Raid-1-Redundanz) verwendet.

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