Gravitationswellendetektoren beginnen dritten Beobachtungslauf
AEI-Wissenschaftler*innen erwarten viele weitere Gravitationswellen-Ereignisse während der einjährigen Messkampagne
Am 1. April 2019 beginnen die beiden LIGO-Instrumente, der Virgo- und der GEO600-Detektor ihren dritten Beobachtungslauf „O3“, der ein ganzes Jahr dauern soll. Die Empfindlichkeit der Detektoren wurde in den letzten Monaten und in den vorangegangenen Testläufen weiter erhöht. AEI-Wissenschaftler*innen erwarten, Dutzende von Verschmelzungen schwarzer Löcher und weitere Kollisionen von Neutronensternen zu entdecken. Forscher*innen der LIGO-Scientific-Kollaboration am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Potsdam und Hannover sowie an der Leibniz Universität Hannover (LUH) sind führende Partner in der internationalen Gravitationswellenforschung. Sie haben die Modellierung der Quellen, Folgeanalysen und die Detektortechnik weiter verbessert.
„In den ersten beiden Beobachtungsläufen haben wir zehn Verschmelzungen von schwarzen Löchern und eine Neutronensternkollision entdeckt“, sagen Alessandra Buonanno, Direktorin am AEI in Potsdam, und Karsten Danzmann, Direktor am AEI in Hannover und an der LUH. „O3 dauert länger als frühere Beobachtungskampagnen, die Detektoren sind empfindlicher als je zuvor, und wir haben unsere Methoden zum Aufspüren und Interpretieren von Signalen verbessert, so dass wir erwarten, viele weitere Signale zu beobachten und mehr über die Eigenschaften ihrer Quelle zu erfahren. Und wer weiß, mit was uns die Natur noch überraschen wird!“
Die erwartete Häufigkeit von Verschmelzungen schwarzer Löcher liegt zwischen einigen Ereignissen pro Monat und einigen Ereignissen pro Woche. Verschmelzungen von Neutronensternen könnten mit einer Häufigkeit von einmal im Jahr bis zu einmal pro Monat beobachtet werden. Ob eine bisher nicht nachgewiesene Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem schwarzen Loch in O3 nachgewiesen werden wird, ist ungewiss.
Die LIGO-Detektoren starteten O3 direkt im Anschluss an ihren 14. Testlauf, der am 4. März 2019 begann. Im Vergleich zu den besten Empfindlichkeiten, die im zweiten Beobachtungslauf O2 erreicht wurden, sind die Entfernungen in denen sie Verschmelzungen von Neutronensternen nachweisen können, um ca. 60 Mpc (190 Millionen Lichtjahre) auf 170 Mpc (550 Millionen Lichtjahre) für LIGO gestiegen, wodurch die Ereignisrate im Vergleich zu O2 um einen Faktor von drei bis vier gestiegen ist.
O3 wird ein ganzes Jahr andauern. Der japanische KAGRA-Detektor wird voraussichtlich ab Ende 2019 an der Beobachtungskampagne teilnehmen und das Netzwerk um einen weiteren großen Detektor ergänzen.
Gequetschtes Licht vom AEI Hannover verbessert Virgo
Die maximale Distanz, in welcher der Virgo-Detektor Neutronensternverschmelzungen nachweisen kann, liegt bei 50 Mpc (160 Millionen Lichtjahre). Der Detektor verwendet eine am AEI Hannover entwickelte und gebaute Quetschlichtquelle, die eine Dauerleihgabe an Virgo ist. Sie reduziert das Quantenrauschen und verbessert damit die Empfindlichkeit des Detektors, insbesondere bei höheren Frequenzen.
Schnellere und genauere Suchen nach verschmelzenden schwarzen Löchern und Neutronensternen
Forscher*innen des AEI in Potsdam haben vor O3 die Fähigkeit des Detektornetzwerks verbessert, Gravitationswellenquellen zu beobachten und ihre Eigenschaften zu bestimmen. Für die Suche nach Verschmelzungen schwarzer Löcher und Neutronensterne sowie die Untersuchung ihrer astrophysikalischen, kosmologischen und gravitativen Eigenschaften haben sie ihre Wellenformmodelle verfeinert und die Symphonie der Gravitationswellen durch die Einbeziehung von Obertönen bereichert. Sie haben diese Verbesserungen durch eine Synergie von numerischen und analytischen Lösungen von Einsteins Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie erreicht. Sie kalibrierten genäherte analytische Lösungen (die sich sehr schnell berechnen lassen) mit präzisen numerischen Lösungen (deren Berechnung selbst auf leistungsstarken Computern sehr lange dauert). Dadurch können die AEI-Wissenschaftler*innen die verfügbare Rechenleistung effektiver nutzen, die Suchen schneller durchführen und so mehr potenzielle Signale in O3 entdecken und die Eigenschaften ihrer Quellen bestimmen. Für Folgeuntersuchungen von Gravitationswellensignalen wurde am AEI Potsdam kürzlich „Hypatia“, ein neuer Großrechner mit rund 9.000 CPU-Kernen, in Betrieb genommen.
Beobachtungen und Technologieentwicklung bei GEO600
Der Gravitationswellendetektor GEO600 bei Hannover nimmt an O3 teil. Bei GEO600 wurden viele wichtige Detektortechnologien, die heute in den LIGO- und Virgo-Instrumenten zum Einsatz kommen und deren beispiellose Empfindlichkeit ermöglichen, entwickelt und getestet. Dazu gehören die Hochleistungslasersysteme im Herzen der Detektoren und die monolithischen Spiegelaufhängungen zur seismischen Isolation. Der britisch-deutsche GEO600-Detektor nutzt seit 2010 routinemäßig Quetschlicht-Technologie, um seine Empfindlichkeit am oberen Ende des Gravitationswellenspektrums zu verbessern. Ende 2018 erreichte er dabei einen neuen Weltrekord mit einem Quetschniveau von fast 6 dB, was einer Verachtfachung des beobachtbaren Weltall-Volumens entspricht. In O3 kommt Quetschlicht bei den LIGO-Instrumenten und dem Virgo-Detektor zum Einsatz, wenn auch nicht auf dem gleichen Niveau wie bei GEO600.
Neu: Öffentliche Beobachtungshinweise
In O3 werden mögliche Gravitationswellensignale (Kandidaten für Verschmelzungen von Doppelsystemen), die von den Forschenden der LIGO-Scientific- und Virgo-Kollaborationen identifiziert wurden, nahezu in Echtzeit veröffentlicht. Daten über die Kandidaten, wie die Art des Signals, die Himmelsposition und die geschätzte Entfernung, werden über das GCN-Netzwerk veröffentlicht. Beobachter*innen finden eine Kurzanleitung und eine Präsentation online. Professionelle Astronom*innen und Amateurastronom*innen können mit den öffentlichen Beobachtungshinweisen Folgebeobachtungen von Gravitationswellensignalen planen.