Gravitationswellendetektor GEO600 hat den Dauermessbetrieb aufgenommen
Empfindlichkeit deutlich verbessert
Der deutsch-britische Gravitationswellendetektor GEO600 befindet sich nach dem Ende der Optimierungsarbeiten zusammen mit den beiden amerikanischen LIGO-Observatorien in einer auf 18 Monate angelegten Dauermessung. „Gibt es in den kommenden Monaten in unserer Nach- barschaft eine Supernova, stehen unsere Chancen gut, die von ihr verursachten Gravitationswellen direkt zu messen. Damit ist der erste Schritt zur Gravitationswellenastronomie getan, die uns endlich Einblicke in die noch unbekannten 96% unseres Universums geben wird“, so Prof. Dr. Karsten Danzmann, Leiter des gemeinsam von Max-Planck-Gesellschaft und Uni Hannover betriebenen Internationalen Zentrums für Gravitationsphysik.
Seit Beginn der Probemessungen im Jahr 2002 wurde die Messempfindlichkeit von GEO600 kontinuierlich verbessert. „Damals konnten wir mit Hilfe unseres Laser-Ohrs nur einen kleinen Bruchteil unserer eigenen Galaxie, der Milchstrasse, belauschen. Heute sind wir 3000mal empfindlicher und können Ereignisse bis zu Entfernungen detektieren, die ein Vielfaches der Distanz zwischen unserer und der benachbarten Andromeda-Galaxie betragen“, so Karsten Danzmann.
Die direkte Messung von Gravitationswellen gehört zu den größten Herausforderungen der modernen Physik, denn sie wird erstmals Einblicke in die bisher unzugänglichen Bereiche des Universums geben. „Wir sind also sehr gespannt, was uns erwartet. Mit der Beobachtung der bisher dunklen Seiten unseres Universums – Schwarzen Löchern, dunkler Materie und dem Echo des Urknalls – wird ein völlig neues Kapitel der Astronomie aufgeschlagen“, so Karsten Danzmann.
GEO600 ist das weltweit modernste Michelson-Laserinterferometer. Seine Laserstrahlen verlaufen in zwei 600 Meter langen im Boden vergrabenen Vakuumrohren. GEO600 verfügt über Laser von bisher unerreichter Stabilität, absorptionsfreie Optiken, eine raffinierte Schwingungsdämpfung und innovative Signalüberhöhung. Die in Hannover entwickelte Technologie wird auch für die nächste Generation der amerikanischen LIGO-Observatorien übernommen.
Hintergrundinformation
Das dunkle Universum sichtbar/hörbar machen
Die direkte Messung von Gravitationswellen wird erstmals genaue Informationen über die Verteilung von Neutronensternen und Schwarzen Löchern im Universum sowie über den detaillierten Ablauf kosmischer Katastrophen wie Sternexplosionen (Supernovae) oder dem Zusammenstoß und der Verschmelzung zweier Sterne liefern.
Außerdem besteht unser Universum zu 96% aus der rätselhaften Dunklen Materie und Dunkler Energie – von denen wir nur wissen, dass sie der Schwerkraft unterliegen. Da weite Teile des Universums weder für die Radio-, noch für die Infrarot- oder die Gammawellenastronomie zugänglich sind, kann die Messung von Gravitationswellen Aufschluss über diese bisher unbekannten Bereiche des Universums geben – denn Gravitationswellen durchdringen sie ungehindert.
Gravitationswellen – Dellen in der Raumzeit
Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie entwarf Albert Einstein 1915 ein völlig neues Bild von unserer Welt. Die Schwerkraft (Gravitation) ist bei ihm keine Kraft mehr wie noch bei Newton, sondern eine Eigenschaft der Geometrie von Raum und Zeit. Große Massen – z.B. Sterne und Galaxien – erzeugen gewissermaßen Dellen in der Raumzeit. Bewegen sich andere Sterne durch solche Gebiete, werden sie von ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt und scheinbar von der großen Masse angezogen. Tatsächlich folgen sie aber der von der Verformung bestimmten Bahn. Wenn die Massen sich bewegen, dann breiten sich die erzeugten Störungen im Raumzeitgefüge mit Lichtgeschwindigkeit nach allen Seiten aus. Diese Gravitationswellen stauchen und dehnen abwechselnd den Raum – die Abstände zwischen den im Raum enthaltenen Objekten ändern sich.
Die Messung von Gravitationswellen
Allerdings sind diese Abstandsänderungen winzig: Selbst bei einem sehr kraftvollen Ereignis wie einer Sternenexplosion in der Nähe unserer Milchstraße verändert die entstehende Gravitationswelle den Abstand zwischen Erde und Sonne nur um den Durchmesser eines Wasserstoffatoms, und das auch nur für wenige tausendstel Sekunden. Für kürzere Messstrecken ist die Wirkung entsprechend kleiner: eine einen Kilometer lange Messstrecke ändert sich nur um ein tausendstel des Durchmessers eines Protons. Diesen Effekt wollen die Physiker mit GEO600 messen. Eine große Herausforderung besteht darin, die vielen Störquellen, die ein Signal verdecken würden, auszuschalten. Dazu gehören z.B. Luftdruck- und Temperaturschwankungen sowie Bodenerschütterungen aller Art.
Bei GEO600 werden die winzigen Längenänderungen mit Hilfe eines Laser-Interferometers gemessen. Ein halbdurchlässiger Spiegel teilt den einfallenden Laserstrahl; die beiden senkrecht zueinander verlaufenden Teilstrahlen durchlaufen die Messstrecken, werden reflektiert und auf einem Photodetektor überlagert. Da das Interferometer so eingestellt ist, dass die beiden Lichtwellen im Gegentakt schwingen, löschen sie sich gegenseitig aus; der Ausgang des Interferometers bleibt dunkel. Verändert eine Gravitationswelle die Länge der beiden Messstrecken, so kommen die Teilstrahlen außer Takt und löschen sich nicht mehr vollständig aus; am Ausgang erscheint ein Signal.
Um Störungen durch Luftdruckschwankungen auszuschließen, verläuft der Laserstrahl in einem evakuierten Rohr. Die 600 m langen Vakuumrohre sind in einem Graben aufgehängt.
Hightech unterm Wellblechdach
Da GEO600 mit einem Sachkostenbudget von nur 7 Mio. Euro auskommen musste – für die zwei amerikanischen LIGO-Detektoren stand ein Gesamtbudget von 365 Mio. Dollar zur Verfügung – kompensierten die GEO600-Wissenschaftler Geldmangel und die fehlende Messstrecke mit innovativen Ideen und viel Eigenbau. Durch die begeisterte Mitarbeit von Studenten und Doktoranden entstand so in einfacher Hülle ein physikalisches Großexperiment ersten Ranges.
Von außen sieht der Gravitationswellendetektor höchst spartanisch aus: zu sehen sind provisorisch anmutende Containergebäude und zwei mit Wellblech abgedeckte Gräben. Man konzentriert sich hier wirklich auf das Wesentliche: Die bisher verfügbaren Technologien wurden an ihre Grenzen getrieben und weiterentwickelt: Laserstabilisierung, absorptionsfreie Optik, Regelungstechnik, Schwingungs- dämpfung und Datenverarbeitung erhielten durch die GEO600-Wissenschaftler ganz neue Impulse. Eine Spezialität ist beispielsweise die Verstärkung von Laserlicht und Signal („Duales Recycling“): Durch zusätzliche Spiegel werden sowohl Laserlicht als auch Signal jeweils mehrfach konstruktiv mit sich selbst überlagert und so verstärkt. Zu den wegweisenden Entwicklungen von GEO600 gehört außerdem die Aufhängung der Spiegel an Glasfasern. Diese in Hannover entwickelte Technologie wird auch für die nächste Generation der amerikanischen LIGO-Observatorien übernommen.
GEO600 im weltweiten Interferometer-Netzwerk
GEO600 ist Teil eines weltweiten Verbandes von Gravitationswellendetektoren. In den USA bestehen zwei Observatorien (LIGO) in Hanford/Washington und Livingston/Louisiana, je eine weiteres Interferometer in Italien (VIRGO) – Messbeginn voraussichtlich Ende 2006 – und Japan (TAMA300). Die Vernetzung der Detektoren hat einen doppelten Sinn: Wird eine Gravitationswelle gemessen, kann man erst bei der gleichzeitigen Messung mit einem weit entfernten Detektor sicher sein, nicht lokalen Störungen aufgesessen zu sein. Um darüber hinaus Informationen über die Position der Quelle sowie über Zeitstruktur und Schwingungsform der Wellen zu erhalten, braucht man wenigstens vier Detektoren. Alle Projekte haben deshalb einen Datenaustausch vereinbart. GEO600 blickt allerdings schon weiter in die Zukunft: Der deutsch-britische Detektor ist auch Ideenschmiede und Versuchslabor für die technischen Verbesserungen, die für die nächste Generation von Gravitationswellendetektoren benötigt werden.
Die Grenzen der Messgenauigkeit
In der jetzigen Konfiguration ist die Messempfindlichkeit von GEO600 dadurch begrenzt, dass verschiedene Störquellen Schwankungen des Ausgangssignals („Rauschen“) erzeugen und so ein Gravitationswellensignal vortäuschen oder überdecken: Für Gravitationswellensignale mit Frequenzen zwischen 30 Hz und 100 Hz dominieren Strahllagefluktuationen das Rauschspektrum, obwohl es den For- schern gelingt, den Laserstrahl auf den 600 m entfernten Spiegeln mit einer Genauigkeit von einem Zehntel des menschlichen Haares zu justieren. Für Signalfrequenzen oberhalb von 100 Hz ist eine Kombination aus Quantenrauschen des Lichtes (Schrotrauschen), thermischem Rauschen und Streulicht begrenzend. Beim Quantenrauschen handelt es sich um eine fundamentale Rauschgrenze, die mit dem Welle-Teilchen-Dualismus des Lichtes zu tun hat. Das thermische Rauschen wird durch die Brownsche Molekularbewegung der Atome in den Spiegeln hervorgerufen. Schon geringste Lichtleistungen, die z.B. an Staubteilchen oder Spiegelunebenheiten im Nanometerbereich gestreut werden, können durch Interferenz mit dem Hauptstrahl Gravitationswellensignale vortäuschen. Stärkere Erdbeben (ab Stärke 6) stellen ein Problem für alle Gravitationswellendetektoren dar. Ein solches Erdbeben, egal an welchem Ursprungsort, erzeugt weltweit seismische Bodenbewegungen, die den Messbetrieb für einige Zeit unmöglich machen.
Vakuumrohr: |
2 × 600 m Länge, 60 cm Durchmesser, 0.8 mm Dicke |
Vakuum: Druck |
< 10−8 mbar |
Laser: | diodengepumpter Nd:YAG-Laser bei 1064 nm |
Laserleistung: | 10 W Ausgangsleistung (Einmodenbetrieb) |
Lichtleistung im Interferometer: | bis zu 2 kW |
Signalverstärkung: | bis zu 100fach |
Optik: | synthetische Quarzglasspiegel mit 18 bzw. 24 cm Durchmesser |
Frequenzbereich: | 50 Hz bis 2 kHz |
Messempfindlichkeit: | 170 Zeptometer (1,7 x 10-19) bei 1Hz Bandbreite |
Die Partner
Betrieben wird GEO600 vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), gemeinsam mit der Universität Hannover und britischen Forschern von den Universitäten Cardiff und Glasgow, in der Nähe von Hannover. Weltweit arbeiten derzeit vier Gravitationswellendetektoren. Ab 2015 wird LISA, die Laser Interferometer Space Antenna, Daten im Weltraum aufnehmen. Auch an dieser Entwicklung ist das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik federführend beteiligt.
Gefördert wird GEO600 von:
Land Niedersachsen
VolkswagenStiftung
Max-Planck-Gesellschaft
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Particle Physics and Astronomy Research Council (PPARC), Großbritannien
Leiter
Prof. Dr. Karsten Danzmann, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und Universität Hannover
Prof. Dr. James Hough, University of Glasgow
Prof. Dr. Bernard Schutz, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Beteiligte Institutionen
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), Potsdam und Hannover
Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching
Universität Hannover
University of Glasgow
Cardiff University
University of Birmingham
University of York
Universitat de les Illes Balears