Einstein@Home enthüllt die wahre Identität einer rätselhaften Gammastrahlenquelle

Freiwilliges verteiltes Rechenprojekt findet in Daten des NASA-Weltraumteleskops Fermi einen schnell rotierenden Neutronenstern in einem exotischen Doppelsternsystem.

2. Februar 2021

Ein internationales Forschungsteam hat gezeigt, dass ein schnell rotierender Neutronenstern im Zentrum eines Himmelsobjekts steht, das heute als PSR J2039-5617 bekannt ist. Beteiligt sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover. Sie nutzten neuartige Datenanalyse-Methoden und die enorme Rechenleistung des Bürgerforschungsprojekts Einstein@Home, um in Daten des NASA-Weltraumteleskops Fermi das schwache Pulsieren der Gammastrahlung des Neutronensterns aufzuspüren. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich der Pulsar in einer Umlaufbahn mit einem Stern befindet, der etwa ein Sechstel der Masse unserer Sonne hat. Der Pulsar verdampft diesen Stern langsam aber sicher. Das Team fand außerdem heraus, dass die Umlaufbahn des Begleiters im Laufe der Zeit leicht und unvorhersehbar variiert. Sie erwarten mit ihrer Suchmethode in Zukunft noch weitere solcher Systeme mit Einstein@Home zu finden.

„Es wurde schon seit Jahren vermutet, dass sich im Herzen der Quelle, die wir heute als PSR J2039-5617 kennen, ein Pulsar, also ein schnell rotierender Neutronenstern, befindet“, sagt Lars Nieder, Doktorand am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover und Mitautor der Studie, die heute in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht wurde. „Aber nur mit der Rechenleistung, die Zehntausende von Freiwilligen für Einstein@Home zur Verfügung gestellt haben, war es möglich, den Schleier zu lüften und das Pulsieren der Gammastrahlung zu entdecken“, fügt er hinzu.

Das Himmelsobjekt ist seit 2014 als Quelle von Röntgen- und Gammastrahlung sowie normalem Licht bekannt. Alle bisher gewonnenen Erkenntnisse deuteten auf eine Erklärung hin: es handelt sich um einen schnell rotierenden Neutronenstern und einen leichten Stern im gegenseitigen Umlauf. Aber es fehlten klare Beweise.

Präzisionsbeobachtungen mit optischen Teleskopen

Der erste Schritt zur Lösung dieses Rätsels waren neue Beobachtungen des Begleitsterns mit optischen Teleskopen. Sie lieferten genaue Informationen über das Doppelsternsystem, ohne die eine Suche nach dem Gammapulsar – selbst mit der enormen Rechenleistung von Einstein@Home – nicht durchführbar wäre.

Die Helligkeit des Systems variiert während eines Umlaufs, je nachdem, welche Seite des Neutronensternbegleiters der Erde zugewandt ist. „Bei J2039-5617 tragen zwei Prozesse zur Helligkeitsänderung bei“, erklärt Dr. Colin Clark vom Jodrell Bank Centre for Astrophysics, Hauptautor der Studie und ehemaliger Doktorand am AEI Hannover. „Der Pulsar erwärmt eine Seite des leichtgewichtigen Begleitsterns, die dadurch heller und bläulicher leuchtet. Zusätzlich wird der Begleiter durch die Anziehungskraft des Pulsars verformt, wodurch die scheinbare Größe des Sterns während des Umlaufs schwankt.“ Diese Beobachtungen ermöglichten es dem Team, die 5,5-stündige Umlaufdauer des Doppelsterns sowie andere Eigenschaften des Systems so genau wie möglich zu messen.

Suche mit Hilfe von Zehntausenden von Freiwilligen

Diese Informationen und die genaue Himmelsposition aus den Daten der Mission Gaia verwendete das Team, um mit der Rechenleistung des freiwilligen verteilten Rechenprojekts Einstein@Home eine neue Suche in etwa 11 Jahren Archivbeobachtungen des Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA durchzuführen. Sie verbesserten frühere Methoden, die sie zu diesem Zweck entwickelt hatten, und nahmen die Hilfe von zehntausenden Freiwilligen in Anspruch, um die Fermi-Daten nach periodischen Pulsationen der Gammastrahlung zu durchsuchen, die vom Large Area Telescope an Bord des Weltraumteleskops registriert wurden. Die Freiwilligen spendeten ungenutzte Rechenzeit auf den CPUs und GPUs ihrer Computer an Einstein@Home.

Diese Suche erforderte ein sehr feines Durchkämmen der Daten, um kein mögliches Signal zu übersehen. Die dafür benötigte Rechenleistung ist enorm: Die Suche hätte auf einem einzigen CPU-Kern 500 Jahre gedauert. Unter Verwendung eines Teils der Einstein@Home-Ressourcen ließ sie sich sie in 2 Monaten durchführen.

Mit der von den Einstein@Home-Freiwilligen gespendeten Rechenleistung entdeckte das Team das Pulsieren der Gammastrahlung des schnell rotierenden Neutronensterns. Dieser Gammapulsar, der jetzt als J2039-5617 bekannt ist, rotiert rund 377 Mal pro Sekunde.

Überraschende Änderungen der Umlaufbahn

„Wir stellten fest, dass die Bahnperiode des Begleiters über die 11 Jahre leicht und unvorhersehbar variiert. Sie ändert sich nur um bis zu etwa zehn Millisekunden, aber da wir die Ankunftszeit jedes einzelnen Gammaphotons vom Pulsar bis auf die Mikrosekunde genau kennen, ist selbst dieses kleine Bisschen schon sehr viel“, sagt Nieder. Diese Schwankungen der Bahnperiode könnten mit kleinen Änderungen der Form des Begleitsterns zusammenhängen, die durch seine magnetische Aktivität verursacht werden. Ähnlich wie unsere Sonne könnte der Begleiter Aktivitätszyklen durchlaufen. Das sich ändernde Magnetfeld wechselwirkt mit dem Plasma im Inneren des Sterns und verformt es. Wenn sich die Form des Sterns ändert, ändert sich auch sein Gravitationsfeld, was sich wiederum auf die Bahn des Pulsars auswirkt. Dieser Prozess könnte die beobachteten Schwankungen der Bahnperiode erklären.

„Spinnen“-Pulsare verspeisen ihre Partner

Während der leichtgewichtige Begleitstern den Pulsar umkreist, verdampfen dessen starke Strahlung und der Teilchenwind allmählich den Begleiter. „Aus diesem Grund nennen wir Systeme wie dieses ‚Redbacks‘ in Anlehnung an die australischen Rotrücken-Spinnen, deren Weibchen die Männchen nach der Paarung verspeisen“, erklärt Nieder. Im Fall von J2039-5617 bildet die vom Stern abgetragene Materie im Doppelsternsystem Wolken aus geladenen Teilchen, die Radiowellen absorbieren. Dies ist einer der Gründe dafür, dass frühere Suchen nach der pulsierenden Radiostrahlung des Neutronensterns fehlgeschlagen sind. Mit der präzisen Bestimmung der Umlaufbahn aus den Gammastrahlendaten ließen sich auch Radiopulsationen aufspüren. Dies wird in einer separaten Publikation veröffentlicht.

„Wir kennen Dutzende von ähnlichen Gammastrahlenquellen, die das Fermi-Weltraumteleskop gefunden hat und deren wahre Identität noch immer unklar ist“, sagt Prof. Dr. Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Direktor und Gründer von Einstein@Home. „Viele könnten Pulsare sein, die in Doppelsystemen versteckt sind, und wir werden mit Einstein@Home weiter nach ihnen suchen“, fügt er hinzu.


Hintergrundinformationen

Wer hat die Entdeckung gemacht? Die Entdeckung wurde durch Zehntausende von Einstein@Home-Freiwilligen ermöglicht, die ihre CPU- und GPU-Rechenzeit für das Projekt zur Verfügung gestellt haben. Ohne sie hätte diese Studie nicht durchgeführt und diese Entdeckung nicht gemacht werden können. Das Team ist besonders denjenigen Freiwilligen dankbar, deren Computer den Pulsar entdeckt haben (wenn der Name des Freiwilligen unbekannt ist, geben wir den Einstein@Home-Benutzernamen in Anführungszeichen an): „Peter“.

Neutronensterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und bestehen aus exotischer, extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von etwa 20 Kilometer und mehr Masse als unsere Sonne. Wegen ihrer starken Magnetfelder und ihrer schnellen Rotation senden sie gebündelte Radiowellen und energiereiche Gammastrahlung aus, ähnlich wie ein kosmischer Leuchtturm. Treffen diese Strahlen während der Rotation des Neutronensterns auf die Erde, wird dieser als pulsierende Radio- oder Gammastrahlenquelle sichtbar – ein so genannter Pulsar.

Einstein@Home ist ein freiwilliges verteiltes Rechenprojekt und verbindet Computer und Smartphones von Freiwilligen aus der ganzen Welt. Diese spenden ungenutzte Rechenzeit auf ihren Geräten. Bis jetzt haben mehr als 480.000 Freiwillige Rechenarbeit beigetragen, was Einstein@Home zu einem der größten Projekte dieser Art macht. Die derzeitige Gesamtrechenleistung, die von etwa 36.000 Computern von 22.000 aktiven Freiwilligen beigesteuert wird, beträgt etwa 7,2 petaFLOPS.

Seit 2005 sucht Einstein@Home in Daten der LIGO- und Virgo-Gravitationswellendetektoren nach Gravitationswellen von unbekannten, schnell rotierenden Neutronensternen. Seit März 2009 ist Einstein@Home auch an der Suche nach Signalen von Radiopulsaren in Daten des Arecibo-Radioteleskops in Puerto Rico und des Parkes- Radioteleskops in Australien beteiligt. Seit der ersten Entdeckung eines Radiopulsars durch Einstein@Home im August 2010 hat das globale Computernetzwerk 55 neue Radiopulsare entdeckt. Die Einstein@Home-Suche nach Gammastrahlen-Pulsaren in Daten des Fermi-Satelliten begann im August 2011. Bis heute hat sie 25 neue Gammastrahlen-Pulsare entdeckt.

Wissenschaftliche Unterstützer sind das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, Hannover) und das Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin-Milwaukee mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft.

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