Einstein@Home entdeckt ersten nur im Gammalicht sichtbaren Millisekundenpulsar

Verteiltes Rechenprojekt findet zwei schnell rotierende Neutronensterne in Daten des Weltraumteleskops Fermi

28. Februar 2018

Das verteilte Rechenprojekt Einstein@Home aggregiert von zehntausenden Freiwilligen aus aller Welt gespendete Rechenleistung. In einer Durchmusterung des Himmels im Gammastrahlenbereich hat dieses Computernetzwerk nun zwei zuvor unbekannte schnell rotierende Neutronensterne in Daten des Weltraumteleskops Fermi entdeckt. Während alle anderen solchen Millisekundenpulsare auch mit Radioteleskopen beobachtbar sind, ist eine der beiden Entdeckungen der erste Millisekundenpulsar, der sich nur anhand seiner pulsierenden Gammastrahlung nachweisen lässt. Diese Erkenntnisse erwecken die Hoffnung, weitere neue Millisekundenpulsare zu finden, beispielsweise aus einer vorhergesagten großen Population solcher Objekte nahe dem Galaktischen Zentrum. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Hannover und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn haben eng zusammengearbeitet, um diese Entdeckungen zu ermöglichen.

„Wir haben diese zwei neuen Entdeckungen in unserer groß angelegten Gammapulsar-Durchmusterung mit Einstein@Home gemacht. Dieses Kunststück war nur möglich, weil wir neuartige und effizientere Suchmethoden, verbesserte Daten des Fermi Large Area Telescope (LAT), und die gewaltige Rechenleistung von Einstein@Home nutzen konnten“, sagt Dr. Colin Clark vom Jodrell Bank Centre for Astrophysics, Erstautor der nun in Science Advances erschienenen Veröffentlichung, der Doktorand am Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik war, als er die Entdeckungen machte. „Nachdem wir die zwei Millisekundenpulsare gefunden hatten, richteten wir ein großes Radioteleskop auf sie und erwarteten, pulsierende Radiostrahlung zu finden, wie es bei allen bis dahin bekannten Millisekundenpulsaren der Fall war. Zu unserer Überraschung blieb eines unserer neu entdeckten Objekte im Radiobereich vollkommen still.“

Dies beweist, dass diese „blinden“ Gammapulsar-Suchprojekte das Potenzial haben, eine bisher unbekannte Population von radiostillen Millisekundenpulsaren aufzuspüren. Diese könnten hinter weiteren nicht identifizierten Fermi-LAT-Quellen oder dem Gammastrahlenglühen aus der Richtung des Galaktischen Zentrums stecken.

In Supernova-Explosionen geboren

Neutronsterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und bestehen aus exotischer und extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von etwa 20 Kilometern und haben mehr Masse als unsere Sonne. Aufgrund ihrer starken Magnetfelder und schnellen Eigendrehung strahlen sie gerichtet Radiowellen und energetische Gammastrahlen ab – ähnlich einem kosmischen Leuchtturm. Wenn diese Strahlen während der Rotation des Neutronensterns in Richtung Erde zeigen, wird dieser als pulsierende Radio- oder Gammastrahlungsquelle sichtbar – als sogenannter Pulsar.

Millisekundenpulsare entstehen, wenn die Drehung eines Pulsars durch von einem Begleitstern aufgesammelte Materie beschleunigt wird. Das einströmende Material vom Partnerstern kann den Pulsar auf bis zu hunderte von Umdrehungen in einer einzelnen Sekunde beschleunigen. Nachdem diese Akkretionsphase endet, lässt sich der schnell rotierende Neutronenstern als Millisekundenpulsar beobachten.

Zwei neue Millisekundenpulsare

Die neue Veröffentlichung beschreibt die Entdeckung von zwei zuvor unbekannten Gammapulsaren, die nach ihren jeweiligen Himmelspositionen PSR J1035−6720 und PSR J1744−7619 heißen. Der erste von diesen beiden stadtgroßen Neutronensternen dreht sich jeder Sekunde schwindelerregende 348 Mal, der zweite 213 Mal. Nach der Entdeckung bestimmten die Forscher*innen deren astrophysikalischen Parameter durch eine Neuanalyse der Fermi-Daten mit hoher Genauigkeit.

Diese verbesserten Parameter kamen dann zum Einsatz, um nach der pulsierenden Radiostrahlung der beiden Quellen in Archivdaten und in neuen Beobachtungen des Parkes-Radioteleskop zu suchen. Während PSR J1035−6720 sich als ungewöhnlich schwacher Radiomillisekundenpulsar zeigte, fand man überhaupt keine Radiowellen von PSR J1744−7619. Damit ist er der erste jemals entdeckte radiostille Millisekundenpulsar.

Eine verborgene Pulsarpopulation

Es ist möglich, dass die leuchtturmähnlichen Radiostrahlen von PSR J1744−7619 nicht in Richtung der Erde zeigen, während die Gammastrahlen das hingegen tun. Die Wissenschaftler*innen untersuchten diese Frage, indem sie die beobachtete Gammastrahlung mit theoretischen Modellen verglichen. Sie zeigten, dass die Modelle, die die Gammastrahlung gut beschreiben, ein nachweisbares Radiosignal vorhersagen. Dessen Abwesenheit bedeutet, dass PSR J1744−7619 entweder nur sehr schwach im Radiobereich strahlt oder dass die Modelle unvollständig sind.

Nach einigen Vorhersagen lässt sich der beobachtete Überschuss von energiereicher Gammastrahlung aus dem Zentralbereich der Milchstraße mit einer verborgenen Population von tausenden Millisekundenpulsaren erklären. Derzeitige große Radioteleskope könnten nur eine Handvoll von diesen nachweisen, aber Gammapulsar-Suchprojekte könnten bessere Chancen haben, eine deutliche höhere Anzahl von diesen Quellen nachzuweisen.

Einstein@Home sucht nach Gammapulsaren in Doppelsternsystemen

„Mit der Hilfe unserer Freiwilligen haben wir 152 nicht identifizierte pulsar-ähnliche Quellen aus dem Fermi-LAT-Katalog untersucht“, sagt Prof. Dr. Bruce Allen, Direktor von Einstein@Home und Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. „Wir haben gezeigt, dass 19 von diesen nicht nur wie Pulsare aussehen, sondern tatsächlich auch Pulsare sind und in einigen Fällen sogar noch sehr ungewöhnliche Objekte. Ich persönlich würde wetten, dass viele von den verbleibenden 133 auch Pulsare sind, die sich in Doppelsternsystemen befinden, wo sie schwieriger zu finden sind. Im Moment spürt Einstein@Home diesen Binärpulsaren nach und ich hoffe, dass wir bald einige finden werden.“

„Dies ist ein wundervolles Beispiel moderner Astrophysik: Wir nutzen die Expertise aus der Gravitationswellen-Astronomie, um Gamma-Daten clever zu analysieren und damit Quellen zu entdecken, die unser Wissen aus Radiobeobachtungen ergänzen. Großartig“, ergänzt Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Leiter der dortigen Arbeitsgruppe „Radioastronomische Fundamentalphysik“ und Koautor der Veröffentlichung.

Hintergrundinformationen nach dem Seitenumbruch

Hintergrundinformation: Wer hat die Entdeckungen gemacht?

Zehntausende Einstein@Home-Freiwillige, die dem Projekt Rechenzeit gespendet haben, haben die Entdeckungen ermöglicht. Ohne sie hätte die Durchmusterung nicht durchgeführt werden und hätten diese Entdeckungen nicht gemacht werden können. Das Team dankt insbesondere den Freiwilligen, deren Computer die zwei Pulsare entdeckten, die in der Science-Advances-Publikation vorgestellt werden. (In den Fällen, wo der Name des Freiwilligen unbekannt oder privat ist, geben wir den Einstein@Home-Benutzernamen an.)

  • PSR J1035−6720: “WSyS”; Kurt Kovacs aus Seattle Washington, USA; und der  ATLAS Cluster, AEI Hannover.
  • PSR J1744−7619: Darrell Hoberer aus Gainesville, TX, USA; der ATLAS Cluster, AEI Hannover; Igor Yakushin aus Chicago, IL, USA und das LIGO Laboratory, USA; und Keith Pickstone aus Oldham, UK.

Hintergrundinformation: Einstein@Home im Überblick

Das Projekt für verteiltes Rechnen verbindet PC-Nutzer aus der ganzen Welt, die freiwillig brachliegende Rechenzeit ihrer Heim- und Bürocomputer und Smartphones zur Verfügung stellen. Mit mehr als 460.000 Teilnehmer*innen ist es eines der größten Projekte dieser Art. Die derzeitige Gesamtrechenleistung wird von 53.000 Computern und 33.000 aktiven Freiwilligen beigetragen und liegt bei rund 6,8 petaFLOPS. Sie würde Einstein@Home einen Platz unter den 15 schnellsten Rechner der Welt sichern.

Seit 2005 durchsucht Einstein@Home Daten der Gravitationswellendetektoren innerhalb der LIGO-Scientific- und Virgo-Kollaborationen nach Gravitationswellen von unbekannten, schnell rotierenden Neutronensternen. Ab März 2009 widmete sich Einstein@Home auch der Suche nach Signalen von Radiopulsaren in Beobachtungen des Arecibo-Observatoriums in Puerto Rico und des Parkes-Radioteleskops in Australien. Seit der ersten Entdeckung eines Radiopulsars im August 2010 mit Einstein@Home hat das weltweite Computernetzwerk insgesamt 55 Radiopulsare aus den Daten gefischt. Neu hinzugekommen ist im August 2011 eine Suche nach Gammapulsaren in den Daten des Fermi-Satelliten. Diese hat bislang 23 neue Gammapulsare entdeckt.

Wissenschaftlicher Träger sind das Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin–Milwaukee und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, Hannover) mit finanzieller Unterstützung der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft.

Hintergrundinformation: Die Gammapulsar-Durchmusterung von Einstein@Home

Mit der Hilfe von zehntausenden Freiwilligen aus aller Welt, die ungenutzte Rechenleistung auf ihren Computern zuhause für Einstein@Home spendeten, konnte das Team eine groß angelegte Durchmusterung durchführen. Insgesamt benötigte diese Suche eine Rechenzeit von rund 10.000 Jahren CPU-Kern-Zeit. Mit einem einzelnen Heim-PC hätte sie mehr als 1000 Jahre gedauert. Einstein@Home schaffte es binnen eines Jahres, obwohl nur ein Teil der Rechenleistung des Projekts dafür eingesetzt wurde.

Die Forschenden wählten aus 1000 unidentifizierten Qellen im Fermi-LAT Third Source Catalog ihre Ziele nach der Ähnlichkeit ihrer Energieverteilung der Gammastrahlung mit der von Pularen aus. Für jedes der 152 ausgewählten Objekte setzten sie neue hocheffiziente Methoden ein, um ein verstecktes Pulsieren in den registrierten Gammaphotonen zu entdecken.

Hintergrundinformation: Gammapulsare „blind“ entdecken

Dieses periodische Pulsieren von Gammapulsaren aufzuspüren ist sehr schwierig. Im Schnitt detektiert das Large Area Telescope (LAT) an Bord des Fermi-Satelliten nur 10 Photonen pro Tag von einem typischen Pulsar. Um das Pulsieren nachzuweisen, müssen Daten von vielen Jahren analysiert werden, während der sich der Pulsar mehrere zehn Milliarden Mal um die eigene Achse drehen kann. Für jedes einzelne Photon muss genau bestimmt werden, während welcher Phase der weniger als einer Sekunde dauernden Rotation es abgestrahlt wurde. So müssen die Astronomen Jahre überspannende Datensätze mit sehr feiner Auflösung durchkämmen, damit Ihnen kein Signal entgeht. Die Rechenleistung für diese „Blindsuchen“ – bei denen wenig bis keine Information über die Pulsare vorab bekannt ist – ist enorm.

Die neuen Methoden verbessern die Suchempfindlichkeit ohne die Rechenkosten dafür zu erhöhen. Sie bestehen aus einem Anfangsschritt, der empfindlicher als in allen vorigen Einstein@Home-Suchen nach Gammapulsaren ist. Dieser erste Schritt produziert eine große Zahl vielversprechender Kandidatensignale, die dann mit einem noch empfindlicheren zweiten Folgeschritt untersucht werden. Dieser zoomt auf den Kandidaten zu und verringert die Unsicherheit in den astrophysikalischen Parametern des Pulsars. Der letzte Untersuchungsschritt wird nicht auf Einstein@Home, sondern auf dem Großrechner Atlas am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover durchgeführt.

Vorherige ähnliche Blindsuchen spürten 37 Gammapulsare in Fermi-LAT-Daten auf. Einstein@Home macht sämtliche Entdeckungen mit Blindsuchen in den vergangenen fünf Jahren. Das Projekt hat so insgesamt 23 Gammapulsare entdeckt – mehr als ein Drittel aller in solchen Blindsuchen gefunden Objekte.

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