Bremse für Neutronensterne - Quelle für Gravitationswellen

Exotische Objekte sind wahrscheinlich Quellen starker Gravitationswellen / Suche nach "jugendlichen Rasern" unter den Pulsaren

25. August 1999

Neutronensterne senden während bestimmter Phasen ihrer Entwicklung wahrscheinlich große Energiemengen als Gravitationswellen aus. Das zeigen jedenfalls Modellrechnungen, die ein internationales Forschungsteam gemeinsam mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Golm bei Potsdam unternommen hat. Die Ergebnisse lassen erwarten, dass die superdichten Sterne innerhalb nur eines Jahres nach ihrer Entstehung ein Energieäquivalent von etwa einem Prozent der Sonnenmasse - das entspricht etwa 5 x 1026 Tonnen - in der Form von Gravitationswellen abstrahlen.

Neutronensterne entstehen, wenn sehr massereiche Sterne am Ende ihrer Entwicklung als Supernovae explodieren. Das Zentrum des Sterns wird dabei so stark zusammengequetscht, dass es im wesentlichen nur noch aus Neutronen besteht. Solche Stern-Überreste haben mit rund 20 Kilometern Durchmesser die Größe einer Kleinstadt - komprimiert auf die Dichte eines Atomkerns. Weil bei diesem abrupten Schrumpfprozess der Drehimpuls erhalten bleibt, kann ein neu entstandener Neutronenstern außerordentlich schnell rotieren. Er sendet dabei elektromagnetische Strahlung aus, die wie der Lichtkegel eines kosmischen Leuchtturms die Erde streifen kann. Astronomen haben die pulsierende Radiostrahlung von etwa tausend solcher Objekte registriert, die auch als Pulsare bezeichnet werden.

Für Astrophysiker ist es ein Rätsel, warum sich unter den jungen Neutronensternen kein einziges Exemplar befindet, das weniger als 15 Tausendstel Sekunden für eine Umdrehung um die eigene Achse benötigt."Theoretisch sind Rotationszeiten von weniger als einer Tausendstel Sekunde möglich, ohne dass die Fliehkraft die superdichte Neutronenkugel auseinanderreißt", sagt Dr. Kostas Kokkotas von der Aristoteles Universität in Thessaloniki. Er hat zusammen mit Dr. Nils Anderson von der Universität Southampton/USA und Prof. Bernard Schutz vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik die Berechnungen gemacht.

Eine mögliche Ursache für das Fehlen "jugendlicher Raser" unter den Pulsaren könnte die Gravitationsstrahlung sein. Sie ist wenige Wochen und Monate nach dem Kollaps des Supernova-Sterns zu einer stark komprimierten Kugel aus Neutronen besonders groß. Gravitationswellen verstärken zusätzlich Vibrationen des über eine Milliarde Grad heißen Neutronengases - Vibrationen, die vergleichbar mit einem Wellenphänomen (Rossby-Wellen) auf den irdischen Weltmeeren sind und von den Astronomen als r-Moden bezeichnet werden. Dieser Effekt setzt der Rotationsdauer neuer Neutronensterne Grenzen. Bereits innerhalb nur eines Jahres kann deshalb die Rotationsperiode von 1000 auf weniger als 100 Umdrehungen pro Sekunde sinken, fand die Arbeitsgruppe heraus.

Die Forschungsergebnisse bieten eine alternative Erklärung zu Modellen, die den Bremseffekt mit einer Art magnetische Kopplung zwischen dem Kerngebiet und der Gashülle des explodierten Vorläufersterns erklären, und die von den Astrophysikern Dr. Hendrik Spruit vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching und E. Sterl Phinney vom California Institute of Technology vorgeschlagen wurden (siehe auch Presseinformation der Max-Planck-Gesellschaft vom 30. November 1998).

"Wahrscheinlich sind auch einige ältere Neutronensterne vielversprechende Quellen nachweisbarer Gravitationswellen", meint Dr. Nikolaos Stergioulas vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm. Zusammen mit Nils Anderson und Kostas Kokkotas analysierte er kompakte Modellsterne, die Gas von einem nahen Begleitstern aufsaugen. Durch den Aufprall dieser Materie können die Neutronenkugeln einen
zusätzlichen "Kick" erhalten, der ihre Rotationsperiode beschleunigt. Mehr als ein Dutzend derartige Objekte haben Astronomen im Universum bereits nachgewiesen.Einige benötigen für eine Umdrehung kaum mehr als zwei Tausendstel Sekunden.

Die jüngsten Modellrechnungen, veröffentlicht im Astrophysical Journal (Band 516 /1999/ S. 307-314), zeigen, dass aufgrund der "r-Moden" wahrscheinlich auch diese Neutronensterne bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen von über 200 000 Grad Gravitationswellen ausstrahlen können. Die von dem Begleitstern einfallende Materie heizt diesen Prozess an und hält ihn am Laufen. "Diese Neutronensterne sind für uns deshalb besonders interessant, weil sie nicht nur über Monate, sondern über viele Jahre hinweg, Gravitationswellen aussenden. Das erhöht unsere Chancen, sie mit Instrumenten auf der Erde nachzuweisen", erklärt Dr. Kokkotas.

Die Forscher am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik sind optimistisch, dass sie, zusammen mit Kollegen anderer Forschungsinstitute, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Ergebnisse ihrer mathematischen Analysen experimentell überprüfen können. Weltweit sind zur Zeit mehrere Instrumente zum direkten Nachweis von Gravitationswellen, sogenannte Gravitationswellen-Interferometer, im Bau. Prof. Bernard Schutz, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, ist zugleich Mitglied der "GEO 600"-Kollaboration, die ein 600 Meter langes Interferometer bei Hannover baut. "Mit den Experimenten sollte es möglich sein, erstmals Gravitationswellen direkt nachzuweisen und damit ein neues Fenster für astronomische Beobachtungen aufzustoßen", meint Dr. Stergioulas. Damit könnten dann auch astrophysikalische Theorien wie der Bremseffekt bei Neutronensternen überprüft werden.

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