Physiker*innen tragen zu modernster Computertechnologie bei

Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik veröffentlicht Berechnungs-Toolkit für Hochleistungssimulationen.

28. September 1999

Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut - AEI) hat die Veröffentlichung der Beta-Version des Cactus Computational Toolkit 4.0 angekündigt. Das Toolkit ist das Ergebnis jahrelanger Forschung auf dem Gebiet der Computerwissenschaft. Es wurde im letzten Jahr mit dem Heinz-Billing-Preis ausgezeichnet, der für die Förderung des wissenschaftlichen Rechnens innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft vergeben wird. Damit wird die Tatsache gewürdigt, dass Hochleistungsrechnen in vielen Bereichen der Physik und des Ingenieurwesens zu einem wichtigen Werkzeug für die Lösung partieller Differentialgleichungen geworden ist. Aber die Entwicklung hochentwickelter Programme, die Computerleistung effektiv nutzen, auf verschiedenen Computersystemen arbeiten und mit der schnellen Entwicklung der Computerhardware Schritt halten, ist für den Einzelnen oder kleine Gruppen von Wissenschaftler*innen oder Ingenieur*innen zu einer unüberwindlichen Aufgabe geworden, die sie von ihrem ursprünglichen Ziel, ein wissenschaftliches oder ingenieurwissenschaftliches Problem zu lösen, ablenkt. Daher ist ein stärker kooperativer Ansatz erforderlich. Wie Edward Seidel, Leiter der Arbeitsgruppe "Numerische Relativitätstheorie" am AEI, erklärt: "Wir brauchen eine Umgebung, die es dem einzelnen Wissenschaftler, der nur über Kenntnisse in Standardprogrammiersprachen wie C oder Fortran verfügt, ermöglicht, von den fortschrittlichsten Berechnungstechniken zu profitieren, eine Verbindung zu Programmen herzustellen, die bereits von anderen Kollegen irgendwo anders auf der Welt entwickelt wurden, und den Code so umzuwandeln, dass er auf jedem beliebigen Computersystem am effektivsten läuft.

Cactus ist mehr als ein Softwarepaket zum Lösen partieller Differentialgleichungen, Cactus ist eine hochgradig modulare und kollaborative Umgebung. Einzelne Wissenschaftler oder Ingenieure können ihre eigene Rechenanwendung wie einen "Dorn" in das "Fleisch" des Cactus-Hauptcodes stecken. Dadurch können sie auf modernste Informatikmodule zurückgreifen, die in das "Fleisch" des Cactus-Codes eingebettet sind (wie Adaptive Mesh Refinement, Advanced Parameter Parsers und Elliptic Solvers) und mit Anwendungen, den "Dornen", die andere Wissenschaftler zur Verfügung gestellt haben, interagieren. Sie können ihr Programm parallelisieren, so dass es auf fast jedem Computersystem läuft, nicht nur auf einem persönlichen Laptop, sondern auch auf PC-Clustern oder massiv-parallelen Supercomputern. Cactus verwendet fortschrittliche Visualisierungstools, so dass die Entwicklung bestimmter Parameter während des Laufs in zwei- oder dreidimensionalen Simulationen visualisiert werden kann. Interessante Beispiele sind die numerischen Simulationen von Neutronensternkollisionen und des Kollapses von Gravitationswellen zu einem Schwarzen Loch, die in diesem Sommer von AEI-Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit Kollegen in den USA durchgeführt wurden.

Die Entwicklung des Cactus Toolkit wurde vom AEI in Zusammenarbeit mit Forschern des National Center for Supercomputing Applications (NCSA), USA, der Universität der Balearen in Spanien und der Washington University, St. Louis, USA, geleitet. Es wurde weltweit von etwa einem Dutzend Forschergruppen in Physik und Computerwissenschaften genutzt und erweitert, darunter das Konrad-Zuse-Institut in Berlin, das Rechenzentrum in Garching, das Argonne National Laboratory in den USA und anderen. Ed Seidel weist darauf hin, dass "Cactus von einem ganzen Jahrzehnt der Forschung und fortgeschrittenen Rechenprojekten profitiert, wie sie seit Anfang der 1990er Jahre auf Supercomputing-Konferenzen demonstriert wurden." Eine solche Demonstration des Cactus-Codes, die die Kollision zweier Neutronensterne simuliert, mit großen Parallelrechnern in San Diego, Berlin und Garching, die über transatlantische Hochgeschwindigkeitsnetze miteinander verbunden sind, ferngesteuert und live visualisiert wurde, fand auf der Supercomputing-Konferenz '98 in Orlando, Florida, statt. Erst vor kurzem hat die National Science Foundation den US-Mitarbeitern von Cactus eine Förderung in Höhe von 2,2 Millionen Dollar gewährt, um die verschiedenen Möglichkeiten des Toolkits zu erweitern, z.B. um Live-Simulationen zu ermöglichen, wenn das Programm auf einem Supercomputer irgendwo auf der Welt läuft, und um die Ausgabe und den Ablauf selbst über das Netzwerk aus der Ferne zu steuern.

Jetzt ist der Code öffentlich verfügbar, komplett mit Dokumentation und Tutorials, und ein Tutorial-Workshop zur Verwendung von Cactus findet diese Woche bei der NCSA an der University of Illinois in Champaign, IL, USA, statt. Die NCSA ist eines der weltweit führenden Zentren für computergestützte Wissenschaften und unterhält eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem AEI. Der Workshop wird gemeinsam vom AEI und der NCSA organisiert und wird von über vierzig Forscher*innen aus der ganzen Welt besucht. Zukünftige Workshops werden auch in Europa stattfinden.

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