Ein Dutzend und ein Neutronensterne

Mit der Hilfe von zehntausenden von Freiwilligen entdeckt das verteilte Rechenprojekt Einstein@Home 13 neue Gammapulsare

11. Januar 2017

Eine Untersuchung, die länger als tausend Jahre auf einem einzelnen Computer gedauert hätte, hat binnen eines Jahres mehr als ein Dutzend neuer schnell rotierender Neutronensterne in Daten des Gammasatelliten Fermi entdeckt. Ein internationales Team unter Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Hannover untersuchte mit der von Freiwilligen aus aller Welt gespendeten Rechenleistung 118 unidentifizierte Objekte aus dem Fermi-Katalog. In 13 entdeckten sie einen rotierenden Neutronenstern im Herzen der Quelle. Alle Entdeckungen sind – nach astronomischen Maßstäben – junge Himmelsobjekte mit einem Alter von mehreren zehn- und hunderttausend Jahren. Zwei von ihnen drehen sich überraschend langsam – gemächlicher als alle anderen bekannten Gammapulsare. Eine andere Entdeckung erfuhr einen sogenannten „glitch“, eine plötzliche Änderung der ansonsten gleichmäßigen Rotation mit unbekannter Ursache.

„Es gibt drei Gründe, warum wir so viele neue Pulsare entdeckt haben: die gewaltige Rechenleistung, die Einstein@Home bereit stellte, unsere Entwicklung neuer und effizienterer Suchmethoden, und die Nutzung von kürzlich verbesserten Fermi-Daten. Alles zusammen ergab eine beispiellos hohe Empfindlichkeit für unsere große Durchmusterung von mehr als 100 Quellen des Fermi-Katalogs“, sagt Dr. Colin Clark, Erstautor der Veröffentlichung, die nun im The Astrophysical Journal erschien.

Neutronsterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und bestehen aus exotischer und extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von etwa 20 Kilometern und wiegen so viel wie rund eine halbe Million Erden. Aufgrund ihrer starken Magnetfelder und schnellen Eigendrehung strahlen sie gerichtet Radiowellen und energetische Gammastrahlen ab – ähnlich eines kosmischen Leuchtturms. Wenn diese Strahlen ein- oder zweimal pro Umdrehung in Richtung Erde zeigen, wird der Neutronenstern als pulsierende Radio- oder Gammastrahlungsquelle sichtbar – als sogenannter Pulsar.

Gammapulsare „blind“ entdecken

Dieses periodische Pulsieren von Gammapulsaren aufzuspüren ist sehr schwierig. Im Schnitt detektiert das Large Area Telescope (LAT) an Bord des Fermi-Satelliten nur 10 Photonen pro Tag von einem typischen Pulsar. Um das Pulsieren nachzuweisen, müssen Daten von vielen Jahren analysiert werden, während der sich der Pulsar milliardenfach um die eigene Achse drehen kann. Für jedes einzelne Photon muss genau bestimmt werden, während welcher Phase der weniger als einer Sekunde dauernden Rotation es abgestrahlt wurde. So müssen die Astronomen Jahre überspannende Datensätze mit sehr feiner Auflösung durchkämmen, damit Ihnen kein Signal entgeht. Die Rechenleistung für diese „Blindsuchen“ – bei denen wenig bis keine Information über die Pulsare vorab bekannt ist – ist enorm.

Vorherige ähnliche Blindsuchen spürten 37 Gammapulsare in Fermi-LAT-Daten auf. Einstein@Home macht sämtliche Entdeckungen mit Blindsuchen in den vergangenen vier Jahren. Das Projekt hat so insgesamt 21 Gammapulsare entdeckt – mehr als ein Drittel aller in solchen Blindsuchen gefunden Objekte.

Rechenressource Einstein@Home

Mit der Hilfe von zehntausenden Freiwilligen aus aller Welt, die ungenutzte Rechenleistung auf ihren Computern zuhause für Einstein@Home spendeten, konnte das Team eine groß angelegte Durchmusterung durchführen. Insgesamt benötigte diese Suche eine Rechenzeit von rund 10.000 Jahren CPU-Kern-Zeit. Mit einem einzelnen Heim-PC hätte sie mehr als 1000 Jahre gedauert. Einstein@Home schaffte es binnen eines Jahres, obwohl nur ein Teil der Rechenleistung des Projekts dafür eingesetzt wurde.

Die Forschenden wählten aus 1000 unidentifizierten Qellen im Fermi-LAT Third Source Catalog ihre Ziele nach der Ähnlichkeit ihrer Energieverteilung der Gammastrahlung mit der von Pularen aus. Für jedes der 118 ausgewählten Objekte setzten sie neue hocheffiziente Methoden ein, um ein verstecktes Pulsieren in den registrierten Gammaphotonen zu entdecken.

Ein Dutzend und ein neuer Neutronenstern

„Bislang haben wir 17 neue Pulsare in den 118 Gammastrahlungsquellen identifiziert, die wir mit Einstein@Home untersucht haben. Die neue Veröffentlichung in The Astrophysical Journal enthält 13 von diesen Entdeckungen“, sagt Clark. „Wir wussten, dass sich viele unidentifizierte Pulsare in den Fermi-Daten verstecken mussten. Aber es ist immer sehr aufregend tatsächlich einen von ihnen zu entdecken und gleichzeitig sehr befriedigend zu verstehen was seine Eigenschaften sind.“ Frühere Einstein@Home-Suchen hätten rund die Hälfte der Entdeckungen verpasst, aber die neuen verbesserten Suchmethoden machten nun den entscheidenden Unterschied.

Die meisten Entdeckungen sind so wie die Wissenschaftler erwarteten: relativ junge Gammapulsare, die vor einigen zehn- oder hunderttausend Jahren in Supernovae geboren wurden. Zwei von ihnen drehen sich jedoch langsamer als alle anderen bekannten Gammapulsare. Langsam rotierende junge Radiopulsare geben in der Regel weniger Gammastrahlung ab als schneller rotierende. Diese schwächeren Objekte zu entdecken ist daher hilfreich, um die gesamte Population der Gammapulsare zu erfassen. Ein weiterer neu entdeckter Pulsar erfuhr einen starken „glitch“, eine plötzliche Beschleunigung seiner sonst extrem gleichmäßigen Rotation mit unbekannter Ursache. Diese Phänomen ist von anderen jungen Pulsaren bekannt, allerdings noch nicht genau verstanden. Es könnte mit Neuanordnungen der Materie im Inneren der Neutronensterne zusammenhängen.

Die Suche nach Gammapulsaren in Doppelsternsystemen

„Einstein@Home hat 118 unidentifizierte pulsar-ähnliche Quellen aus dem Fermi-LAT-Katalog untersucht“, sagt Prof. Dr. Bruce Allen, Direktor von Einstein@Home und Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. „Colin hat gezeigt, dass 17 von diesen in der Tat Pulsare sind und ich würde wetten, dass viele von den verbleibenden 101 es ebenfalls sind, die sich aber in Doppelsternsystemen befinden, für die uns derzeit noch die notwendige Empfindlichkeit fehlt. In der Zukunft wird Einstein@Home mit verbesserten Methoden auch diesen nachspüren und ich bin zuversichtlich, dass wir zumindest einige von ihnen finden werden.“

Hintergrundinformationen „Wer hat die Entdeckungen gemacht?“, „Einstein@Home im Überblick“, „Schritt für Schritt zum Ziel – die neuen Rechenmethoden“ nach dem Seitenumbruch.

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