Keine Magie: Neutronensternkollision mit „Zeitumkehr“

AEI-Wissenschaftler finden Erklärung für verzögertes Nachglühen bei gewaltigen Explosionen im All

29. Januar 2015

Zusammenstöße von Neutronensternen sind Extremsituationen: sie sind vermutlich die Ursache von kurzen Gamma-Blitzen, den stärksten Explosionen, die wir im Universum beobachten können. Diese Ausbrüche entstehen höchstwahrscheinlich dann, wenn die Materie in einer solchen Kollision zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Satelliten sehen dabei häufig nicht nur den extrem kurzen Gamma-Blitz, sondern auch eine stunden- oder tagelange Emission von Röntgenstrahlung, die nicht durch die sehr kurze Aktivität des Schwarzen Lochs erklärt werden. In einer kürzlich erschienenen Publikation in The Astrophysical Journal Letters schlagen AEI-Wissenschaftler nun eine Lösung dieses Rätsels vor und erklären auch, warum der Gamma-Blitz und ein Teil der Röntgenstrahlung in umgekehrter Reihenfolge zu ihrer Entstehung beobachtet werden. Daraus ergeben sich neue Perspektiven für die Multimessenger-Astronomie.

Kurze Gamma-Blitze setzen in weniger als zwei Sekunden so viel Energie in Form von Gammastrahlung frei, wie man durch die Explosion von bis zu zwei Millionen Billionen Billionen Megatonnen TNT erreichen könnte. Vermutlich entstehen sie, wenn zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen und einen extrem dichten, metastabilen Neutronenstern bilden, der dann durch seine eigene Gravitation zu einem Schwarzen Loch zusammenstürzt. Dieses Schwarze Loch ist anfangs von einer dicken Scheibe aus Materie umgeben, die binnen etwa einer Sekunde in das Schwarze Loch hineinstürzt. Wenn dabei extrem starke Magnetfelder auftreten, entsteht ein Gamma-Blitz.

Die genauen Abläufe der extremen Explosionen sind jedoch auch nach jahrzehntelanger Forschung rätselhaft. Sie werden am AEI mit Hilfe von Computersimulationen untersucht, die 2013 Einblick in die Entstehung der für die Gamma-Blitze notwendigen gigantischen Magnetfelder brachten. „Numerische Simulationen auf Supercomputern können die physikalischen Vorgänge, die zur Erzeugung eines kurzen Gamma-Blitzes führen, immer besser nachbilden“, sagt Daniel Siegel, Doktorand am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI). Gemeinsam mit Dr. Riccardo Ciolfi (inzwischen an der Universität Trento) versucht er, das Rätsel zu lösen. „Simulationen sind ein unerlässliches Werkzeug zur Lösung des Rätsels, da satelliten- und erdgebundene Beobachtungen nur indirekte Auskunft über die tatsächlichen Vorgänge bei der Erzeugung eines kurzen Gamma-Blitzes geben können.“ In ihrer aktuellen Veröffentlichung schlagen Ciolfi und Siegel nun erstmals einen Mechanismus vor, der nicht nur die Gamma-Blitze und die beobachtete Röntgenstrahlung enträtselt. Er sieht auch vor, dass die Röntgenstrahlung nicht nur nach dem Gammastrahlenausbruch zu sehen sein sollte, sondern auch schon davor – eine überraschende neue Vorhersage.

Scheinbare Zeitumkehr erklärt rätselhaftes Nachglühen

Simulationen auf dem AEI-eigenen Computercluster zeigen was passiert, wenn durch die Kollision zweier Neutronensterne ein langlebiger, extrem dichter Neutronenstern erzeugt wird. Zunächst rotiert der Stern im Innern unterschiedlich schnell und emittiert elektromagnetische Energie in Form eines Materiewindes. Durch die hohe Materiedichte erzeugt dieser eine für Strahlung nahezu undurchlässige Umgebung und speichert somit den Großteil der darin enthaltenen Energie (Abb. 1, I). Nur ein kleiner Teil der Energie wird jetzt bereits in Form von Röntgenstrahlung abgegeben. Laut weiterer Modellrechnungen wird der Stern nach dieser Anfangsphase zu einem starr rotierenden Körper und erzeugt in seiner Umgebung ein Plasma aus Elektronen, Positronen und Photonen: einen Pulsar-Nebel (Abb. 1, II). Der hohe Druck der darin befindlichen Photonen bläht den umgebenden Materiewind auf und sorgt für eine Ausdehnung mit relativistischen Geschwindigkeiten. Rotationsenergie des Neutronensterns wird hierbei in Energie dieses Plasmas umgewandelt und somit zwischengespeichert. Sobald hinreichend Rotationsenergie abgegeben wurde, kollabiert der Neutronenstern schließlich zu einem Schwarzen Loch mit Akkretionsscheibe (Abb. 1, III). In weniger als ein paar Sekunden fällt nun die Akkretionsscheibe in das Schwarze Loch und bewirkt einen „jetartigen“, also gebündelten, Ausfluss an Materie , der sich in dem ausgedehnten Pulsar-Nebel und dem Materiewind nahezu ungehindert ausbreiten kann und letztlich den Gamma-Blitz erzeugt.

Demgegenüber ist ein Großteil der Energie, die dem Neutronenstern vor dem Kollaps entzogen wurde, immer noch in dem Pulsar-Nebel und dem Materiewind gespeichert und kann nur über mehrere Stunden oder sogar noch länger in Form von Röntgenstrahlung abgegeben werden. Diese verzögerte Energieabstrahlung bewirkt effektiv eine Zeitumkehrung in der Beobachtung der Gamma- und der Röntgenstrahlung: Obwohl die Energie im Pulsar-Nebel und im Materiewind vor dem Kollaps dem Stern entzogen wurde, wird der Großteil davon erst nach dem Kollaps und damit nach dem Gamma-Blitz emittiert. Die Rechnungen von Siegel und Ciolfi zeigen, dass diese Verzögerung mit den Beobachtungsdaten vereinbar ist und so das beobachtete Nachglühen erklären kann. Hingegen kann die Röntgenstrahlung, die vor dem Gamma-Blitz abgegeben wird, bislang nicht beobachtet werden. Satelliten verwenden derzeit den Gamma-Blitz zum Auslösen von Beobachtungen im Röntgenbereich. Dies erwies sich bisher als praktikabel und sinnvoll, da man keine Röntgenstrahlung vor dem eigentlichen Gamma-Blitz erwartete.

„Bei unserem „Zeitumkehreffekt“ findet keine magische Zeitreise statt. Es handelt sich vielmehr um einen unmagischen Energie-Zwischenspeicher, aus dem die Röntgenstrahlung erst mit Verzögerung abgegeben wird“, so Siegel, und Ciolfi fügt hinzu: „eine Herausforderung für die Astronomen wird es nun sein, Röntgenstrahlung vor einem Gamma-Blitz zu beobachten. Dies wäre ein starkes Indiz für die „Zeitumkehrung“ und damit für das von uns vorgeschlagene Szenario.“ 

Neue Perspektiven für die Astronomie

Mit gleichzeitigen Gravitationswellen- und elektromagnetischen Beobachtungen könnte man erstmals die Lebenszeit eines Neutronensterns genau bestimmen, und zwar mit einer Genauigkeit besser als ein Prozent.

Bevor zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen, umkreisen sie einander auf immer enger werdenden Bahnen. Dabei verlieren sie Energie in Form von Gravitationswellen. Das stärkste Gravitationswellensignal senden sie zum Zeitpunkt der Kollision aus, kurz vor der Momentaufnahme in Abb. 1, I. Dieses Signal wäre vom Gamma-Blitz (Abb. 1, III) gerade durch die Lebenszeit des extrem dichten Neutronensterns getrennt. Gravitationswellendetektoren eignen sich daher ideal zum Auslösen von satelliten- und erdgebundenen Beobachtungen von kurzen Gamma-Blitzen. Dieses Szenario eröffnet folglich interessante Perspektiven vor dem Hintergrund der „Multi-Messenger-Astronomie“ durch zeitgleiche Beobachtungen im elektromagnetischen und Gravitationswellenbereich, die durch die Inbetriebnahme von Gravitationswellendetektoren wie advanced LIGO und Virgo in den nächsten Jahren möglich wird.

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