Leibniz-Preis für Alessandra Buonanno

Die Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam erhält den wichtigsten, mit 2,5 Millionen Euro dotierten Wissenschaftspreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

14. Dezember 2017

Wie die DFG heute bekannt gab, wird Professor Alessandra Buonanno für ihre zentrale Rolle bei den ersten direkten Nachweisen von Gravitationswellen mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis geehrt. Diese lange erwartete Entdeckung ist ein Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte und wurde mit dem diesjährigen Physik-Nobelpreis gewürdigt. Buonanno ist eine der Wissenschaftlerinnen, die diesen Durchbruch ermöglicht haben. Ihre Arbeiten waren essentiell für die Identifizierung und Interpretation der Gravitationswellensignale. Die Preisverleihung findet am 19. März 2018 in Berlin statt.

„Ich bin begeistert und fühle mich geehrt, dass meine Forschung eine so große Anerkennung erfährt“, sagt Buonanno. „Mein Team und ich arbeiten seit Jahren daran, genaue Wellenformmodelle zu entwickeln, mit denen sich Gravitationswellensignale von binären Systemen aus schwarzen Löchern und Neutronensternen beobachten und interpretieren lassen. Die letzten zwei Jahre, seit dem ersten direkten Nachweis von Gravitationswellen mit den Advanced LIGO-Detektoren im Herbst 2015, waren äußerst spannend und aufschlussreich. Die jüngste Beobachtung binärer Neutronensterne durch ihre Gravitationswellenemission und die Multi-Messenger-Signaturen hat bereits gezeigt, welch enormen Einfluss das neue Gebiet der Gravitationswellenastronomie auf die Astrophysik, die Fundamentalphysik und die Kosmologie haben kann.“

Hochpräzise Wellenformmodelle für die Identifizierung und Interpretation von Gravitationswellensignalen

Bereits 1999 entwickelte Buonanno zusammen mit Professor Thibault Damour den so genannten Effective-One-Body-Ansatz (EOB) für das Zweikörperproblem in der Allgemeinen Relativitätstheorie. In diesem Formalismus wird die Zweikörperdynamik auf die Dynamik eines sich in der Raumzeit eines schwarzen Loches bewegenden Testkörpers reduziert. Dieses System ist noch immer hochkomplex, aber es erlaubt wesentlich effizientere Berechnungen der Dynamik und der Wellenformen, sowie die Anwendung von analytischen als auch Störungsrechnungen. Mit Hilfe dieses Ansatzes wurde die erste komplette Wellenform der Gravitationswellen von verschmelzenden schwarzen Löchern analytisch vorausgesagt.

Die Messung und Interpretation der extrem schwachen Gravitationswellensignale in einem Rauschhintergrund ist vergleichbar mit Spracherkennung in einem sehr lauten Umfeld. Dazu verwenden LIGO- und Virgo-Forschende hunderttausende Vorlagen (oder Filter) und vergleichen diese mit den aufgenommenen Daten. Jede dieser Vorlagen muss schnell berechnet werden können und zugleich hochgenau sein, damit die Daten in Echtzeit analysiert und die Signale gefunden werden können. Buonanno und ihr Team entwickelten die genaueste und effizienteste Datenbank zur Suche nach Doppelsystemen schwarzer Löcher. Dafür wurde die Effective-One-Body-Theorie ausgeweitet, um auch schwarze Löcher mit Eigendrehung zu charakterisieren, was das Zweikörpersystem um ein vielfaches dynamischer und komplexer macht. Millionen von Vorlagen werden dann in Folgeanalysen verwendet, um astrophysikalische und grundlegende physikalische Informationen zu extrahieren. Die Vorlagen müssen schnell und sehr genau generiert werden, damit Daten in Echtzeit analysiert werden können. Buonanno und ihr Team entwickelten hochpräzise und effiziente Wellenform-Datenbanken für die Suche nach binären schwarzen Löchern. Auf der einen Seite stützt sich diese Arbeit auf ausgeklügelte Untersuchungen, um weitere physikalische Effekte in die Wellenformmodelle einzubeziehen. Die Effective-One-Body-Theorie wird auf schwarze Löcher mit Spins erweitert, was die Zweikörperdynamik und Gravitationswellenformen noch komplizierter macht. Auf der anderen Seite verbesserten und vervollständigten die Forscher*innen den Effective-One-Body-Formalismus durch Einbeziehung nicht-perturbativer und nichtlinearer Informationen kurz vor der Verschmelzung, indem sie numerisch-relativistische Simulationen durchführten, um den gesamten Parameterraum des Binärsystems abzudecken.

Die Effective-One-Body-Modelle für binäre schwarze Löcher mit Drehimpuls, welche von Buonannos Gruppe an der University of Maryland entwickelt und schließlich 2014 in ihrer Abteilung am Max-Planck-Institut fertig gestellt wurden, wurden implementiert und angewendet bei der Suche nach Verschmelzungen von Doppelsystemen in den Daten von Advanced LIGO. Es war diese Suche, welche zur der ersten Messung der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher führte. Mit denselben Wellenform-Modellen gelang die Extraktion astrophysikalischer Parameter der Quelle, u.a. die Massen und Drehimpulse, die Ausrichtung des Systems und dessen Entfernung zur Erde, sowie die Masse und der Drehimpuls des resultierenden schwereren schwarzen Loches. Diese Modelle wurden ferner zum Test der Allgemeinen Relativitätstheorie im hochdynamischen Regime starker Gravitationsfelder benutzt.

Alessandra Buonanno ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam und College Park-Professorin an der University of Maryland. Sie promovierte an der Universität Pisa (Italien) in Theoretischer Physik. Nach kurzem Aufenthalt in der Theorie-Abteilung des CERN arbeitete sie als Post-Doc am Institut des Hautes Etudes Scientifiques (IHES) in Frankreich und am California Institute of Technology in den USA. Sie war Wissenschaftlerin am Institut d'Astrophysique de Paris (IAP) und dem Laboratoire Astroparticule et Cosmologie (APC) in Paris – beides Einrichtungen des Centre Nationale de la Recherche Scientifique (CNRS) – bevor sie als Physikprofessorin an die University of Maryland ging. Dort wurde Buonanno durch die Alfred P. Sloan-Stiftung gefördert. Sie war außerdem William und Flora Hewlett Fellow am Radcliffe Institute for Advanced Study der Harvard Universität. Sie ist Fellow der International Society on General Relativity and Gravitation und der American Physical Society. Seit 2014 hat Buonanno einen distinguished visiting research chair am Perimeter Institute in Kanada inne.

Seit 2014 leitet Buonanno die Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam. 2016 wurde sie gemeinsam mit ihren Hannoveraner Kollegen Professor Bruce Allen und Professor Karsten Danzmann mit dem Niedersächsischen Staatspreis ausgezeichnet. Als Mitglied der LIGO Scientific Collaboration erhielt sie zahlreiche weitere Preise: 2016 den Gruber Prize und den Special Breakthrough Prize, sowie 2017 den Prinzessin-von-Asturien-Preis, den Bruno Rossi Prize der American Astronomical Society und den Achievement Award der Royal Astronomical Society. Seit 2017 ist Buonanno Honorarprofessorin an der Universität Potsdam und der Humboldt Universität zu Berlin.

Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist der wichtigste Forschungsförderpreis Deutschlands. Er wird seit 1986 jährlich von der DFG verliehen. Pro Jahr können bis zu zehn Preise mit einer Preissumme von jeweils 2,5 Millionen Euro vergeben werden. Diese Gelder können die Preisträger bis zu sieben Jahre lang für ihre Forschungsarbeit verwenden. Verliehen werden die Leibniz-Preise am 19. März 2018 in Berlin.

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