Gammapulsare aus dem Heimcomputer
Mit Einstein@Home fischen Freiwillige aus den Daten des NASA-Satelliten Fermi vier kosmische Leuchttürme heraus
Das Zusammenspiel von weltweit verteilter Rechenkraft und innovativer Analysemethoden erweist sich als Erfolgsmodell für die Suche nach neuen Pulsaren. Forscher der Max-Planck-Institute für Gravitationsphysik und Radioastronomie haben nun vier Gammapulsare in internationaler Zusammenarbeit in Daten des Weltraumteleskops Fermi entdeckt – und zwar mit dem Projekt Einstein@Home, das mehr als 200.000 Computer von rund 40.000 Teilnehmern aus aller Welt zu einem globalen Superrechner verbindet. An der Entdeckung waren Freiwillige aus Australien, Deutschland, Frankreich, Japan, Kanada und den USA beteiligt.
Seit seinem Start im Jahr 2008 beobachtet der NASA-Satellit Fermi den gesamten Himmel im Bereich der Gammastrahlung. Dabei entdeckte er Tausende bisher unbekannte Quellen hoch energetischer Strahlung, unter denen sich vermutlich auch Hunderte neue Pulsare befinden, also die kompakten, schnell rotierenden Überreste explodierter Sterne. Doch diese neuen Gammapulsare eindeutig zu identifizieren ist sehr rechenaufwendig – weite Parameterbereiche müssen in sehr hoher Auflösung „abgetastet“ werden.
„Das Innovative an unserer Lösung für die rechenaufwendige Suche nach Gammapulsaren ist die Kombination besonders effizienter Verfahren mit der verteilten Rechenkraft von Einstein@Home“, sagt Holger Pletsch, Leiter einer unabhängigen Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) und Erstautor der nun veröffentlichten Studie. „Die Freiwilligen aus aller Welt ermöglichen es uns, den riesigen Rechenberg der Fermi-Datenanalyse zu bewältigen. Sie leisten so einen unschätzbaren Dienst für die Astronomie“, so Pletsch.
Verteiltes Rechnen für die Astronomie
Einstein@Home ist ein Gemeinschaftsprojekt des Center for Gravitation and Cosmology an der University of Wisconsin–Milwaukee (USA), und des AEI in Hannover, das von der National Science Foundation und der Max-Planck-Gesellschaft gefördert wird. Es sucht seit Mitte 2011 in Daten des Satellitenobservatoriums Fermi nach den Signalen von Gammapulsaren. Ursprünglich wurde das Projekt 2005 ins Leben gerufen, um in den Daten des US-amerikanischen LIGO-Observatoriums nach Gravitationswellen zu fahnden – weiterhin die Hauptaufgabe von Einstein@Home. Seit Anfang 2009 widmet sich Einstein@Home auch sehr erfolgreich der Suche nach neuen Radiopulsaren.
„Die erstmalige Entdeckung von Gammapulsaren durch Einstein@Home ist nicht nur für uns, sondern auch für unsere freiwilligen Projektteilnehmer ein wichtiger Meilenstein. Es zeigt, dass jeder PC-Besitzer einen Beitrag zur Spitzenforschung leisten und astronomische Entdeckungen machen kann“, freut sich Koautor Bruce Allen, Direktor am AEI und Chefwissenschaftler von Einstein@Home. „Ich hoffe, dass sich unsere Begeisterung nun auf noch mehr Menschen überträgt, die uns bei weiteren Entdeckungen unterstützen.“
Pulsare für jedermann
Auch die an den Entdeckungen beteiligten Freiwilligen sind begeistert. Hans-Peter Tobler aus Rellingen in Deutschland nimmt seit 2005 an Einstein@Home teil und half nun bei der Entdeckung eines Gammapulsars: „Astronomie fasziniert mich. Bei Einstein@Home kann ich diese Wissenschaft unterstützen, obwohl ich selber kein Profi-Astronom bin.“ Angesichts von hunderttausenden gemeinschaftlich arbeitenden Computern hätte er nie erwartet, dass ausgerechnet sein Rechner etwas entdecken würde.
„Zuerst war ich ein bisschen sprachlos und dachte, jemand erlaubt sich einen Scherz mit mir. Aber nachdem ich ein bisschen nachgeforscht hatte, stellte sich alles als echt heraus. Dass jemand so unbedeutendes wie ich tatsächlich etwas bewegen kann, ist großartig“, sagt Thomas M. Jackson aus Kentucky (USA), der Einstein@Home auf seinem Quadcore-Rechner laufen lässt.
Die Beiträge aller Einstein@Home-Teilnehmer werden in der Veröffentlichung gewürdigt. Insbesondere danken die Wissenschaftler namentlich den acht Freiwilligen, deren Computer die Entdeckungen machten. Sie stammen aus Australien, Deutschland, Frankreich, Kanada, den USA und Japan. Als Anerkennung erhalten die Acht besondere Entdeckungszertifikate.
Neues Fenster zur Entdeckung von Neutronensternen
Nicht nur sind die vier Gammapulsare die ersten, die Astronomen mit einem freiwilligen verteilten Rechenprojekt gefunden haben. Die kosmischen Leuchttürme selbst weisen Besonderheiten auf. „Spannend ist, dass alle vier Pulsare entlang der Ebene der Milchstraße liegen“, so Koautor Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR). Denn Durchmusterungen im Radiobereich haben diesen Himmelsabschnitt bereits intensiv unter die Lupe genommen – die vier Pulsare waren dabei verborgen geblieben; entdeckt wurde lediglich ein vergleichbarer Neutronenstern.
Die Pulsare lassen sich offenbar nur im Gammabereich beobachten. Radio- und Gammastrahlung entstehen in verschiedenen Raumbereichen um den Pulsar. Eine Erklärung ist die Ausrichtung des Neutronensterns zur Erde. Dabei strahlt möglicherweise sein schmaler Radiokegel an ihr vorbei, während sich der breitere Kegel der Gammastrahlung von der Erde aus beobachten lässt. Gezielte Folgebeobachtungen der vier Neuentdeckungen mit der 100-Meter-Antenne des MPIfR bei Effelsberg und dem australischen Parkes-Radioteleskop bestätigten das Fehlen von Radiostrahlung.
„Mit den erfolgreichen Blindsuchen nach Gammapulsaren nutzen wir ein neues Fenster zur Entdeckung von Neutronensternen“, sagt Kramer. Die neuen Methoden nutzen Verfahren aus der Gravitationswellen-Datenanalyse. Mit ihnen hatten Astronomen um Pletsch zuvor alle elf Gammapulsare aufgespürt, die in den vergangenen drei Jahren in Blindsuchen der Fermi-Daten gefunden wurden.
Junge Neutronensterne mit Schluckauf
Bei zwei der Neuentdeckungen war während des Beobachtungszeitraums die ansonsten gleichmäßige Rotation von einer plötzlichen, ruckartigen Beschleunigung (englisch: glitch) gestört. Der Neutronenstern drehte sich dabei unvermittelt schneller, bremst dann langsam wieder ab und kehrte nach einigen Wochen zur alten Rotationsperiode zurück. „Die genaue Ursache dieser Glitches kennen wir nicht. Doch ihre Messung kann neue Einblicke in das bisher nur unvollständig verstandene Innere der Neutronensterne eröffnen“, sagt Lucas Guillemot. Der Forscher war zur Zeit der Entdeckungen am MPIfR und arbeitet inzwischen am LPC2E in Orléans.
Glitches treten vor allem bei nach astronomischen Maßstäben erst kürzlich entstandenen Pulsaren auf. Das passt zu den vier neuen Pulsaren, die nach den Messungen der Forscher zwischen 30.000 und 60.000 Jahre alt und damit unter Neutronensterne gewissermaßen Jungspunde sind.
Großes Entdeckungspotential
Besonders in Zukunft werden die effizienten Suchmethoden eine immer wichtigere Rolle spielen, denn Fermi wird voraussichtlich noch mindestens fünf Jahre lang neue Daten liefern. Je länger die erfasste Messzeit ist, umso schwächer sind die Pulsare, die sich aufspüren lassen. Und mit zunehmender Messzeit wächst zugleich der Rechenaufwand. Während konventionelle Methoden bereits jetzt in der Praxis zu viel Rechenzeit benötigen, ist bei den neuen Methoden noch Spielraum nach oben.
„Nur unsere Verfahren ermöglichen auch zukünftig effiziente Suchen in den Fermi-Daten. Und mit der verteilten Rechenkraft der Einstein@Home-Freiwilligen hoffen wir auch in Zukunft besonders weit entfernte oder lichtschwache Gammapulsare aufzuspüren“, sagt Pletsch.