Heimcomputer entdecken rekordverdächtiges Pulsar-Neutronenstern-System
Internationales Forscherteam findet bisher massereichstes Doppelneutronensternsystem mit dem verteilten Rechenprojekt Einstein@Home in Beobachtungsdaten des Arecibo-Radioteleskops
Etwa 25000 Lichtjahre von der Erde entfernt kreisen zwei tote Sterne umeinander. Auf einem Durchmesser von lediglich 20 Kilometern vereint jeder von ihnen mehr Masse als unsere Sonne und sie benötigen nur fünf Stunden für eine Umkreisung. Dieses ungewöhnliche Paar sogenannter Neutronensterne wurde von einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie sowie von Teilnehmern am Computerprojekt „Einstein@Home“ aufgespürt. Ihre Entdeckung ist die bisher letzte auf einer sehr kurzen Liste von nur 14 bekannten Doppelneutronensternsystemen und dazu auch diejenige mit der größten Gesamtmasse für beide Komponenten. Diese Systeme aus zwei umeinander rotierenden Neutronensternen stellen wichtige kosmische Laboratorien dar, mit denen einige der genauesten Tests von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie möglich werden. Sie spielen darüber hinaus eine große Rolle als potentielle Quellen für den Nachweis von Gravitationswellen mit den LIGO-Detektoren.
Neutronensterne sind Überreste von Supernova-Explosionen mit extrem hoher Dichte und extrem starken Magnetfeldern. Vergleichbar mit einem schnell rotierenden kosmischen Leuchtfeuer senden sie zwei stark gebündelte Radiostrahlen in entgegengesetzte Richtungen aus. Liegt die Erde im Bereich eines solchen Strahls, kann der Neutronenstern mit Hilfe großer Radioteleskope als pulsierende Radioquelle am Himmel – als sogenannter Pulsar - aufgespürt werden.
Eine seltene Sorte Pulsar
Die meisten der bisher 2500 bekannten Radiopulsare am Himmel stehen isoliert und rotieren als Einzelsterne im Weltraum. Nur 255 von ihnen (gut 10%) befinden sich in Doppelsternsystemen und davon wiederum nur jeder Zwanzigste im Umlauf mit einem weiteren Neutronenstern.
„Diese seltenen Doppelneutronensternsysteme sind einzigartige Laboratorien für Fundamentalphysik; sie ermöglichen Messungen, die in keinem irdischen Laboratorium durchgeführt werden können“, sagt Bruce Allen, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, Leiter des Einstein@Home-Projekts und Ko-Autor der im „Astrophysical Journal“ veröffentlichten Untersuchung. „Deshalb brauchen wir große Teleskope wie das Arecibo-Observatoriums und empfindliche „Datenanalyse-Maschinen“ wie Einstein@Home, um so viele wie möglich von diesen aufregenden Objekten zu entdecken.“
Entdeckung von PSR J1913+1102 in der PALFA-Pulsardurchmusterung mit Einstein@Home
Die neue Pulsarentdeckung gelang in den Daten des Arecibo-Radioteleskops. Im Rahmen von PALFA (“Pulsar Surveys with the Arecibo L-Feed Array”) führt ein internationales Forscherteam Beobachtungen mit dem Teleskop durch, um neue Radiopulsare zu identifizieren. Mit der PALFA-Durchmusterung konnten bisher 171 Pulsare entdeckt werden. Die Daten werden auch im Rahmen des Einstein@Home-Projekts auf einer Vielzahl vernetzter Computer analysiert; allein damit konnten bisher 31 neue Pulsare identifiziert werden.
Einstein@Home vereint die Computerleistung von mehr als 40.000 Nutzern weltweit, die sich mit rund 50.000 Laptops, PCs und Smartphones an dem Projekt beteiligen. Das Projekt ist eines der größten überhaupt im verteilten Rechnen auf freiwilliger Basis und seine gesamte Computerleistung von 1,7 Petaflops pro Sekunde macht es zu einem der 60 leistungsfähigsten Supercomputer weltweit.
Nach der ursprünglichen Entdeckung des Doppelsternsystems mit Einstein@Home im Februar 2012 führten die PALFA-Wissenschaftler regelmäßige Beobachtungen mit dem Arecibo-Teleskop durch, um die Umlaufbahn des Radiopulsars, der sich in jeweils 27,2 Millisekunden einmal um seine Achse dreht (das entspricht 37 Umdrehungen pro Sekunde) möglichst präzise zu vermessen. Mit diesen Beobachtungen lässt sich zeigen, dass dieses inzwischen als PSR J1913+1102 bezeichnete Objekt (im Namen stecken die Koordinaten der Position am Himmel) aus zwei Sternen besteht, die einander in etwas weniger als fünf Stunden in einem leicht elliptischen Orbit umkreisen (vgl. Abb. 2).
Aus der Verlangsamung der Rotationsperiode mit der Zeit konnten die Wissenschaftler das Magnetfeld des Pulsars berechnen, das einige Milliarden mal stärker ist als das unserer Erde. Für einen Neutronenstern ist dies ein relativ schwacher Wert, der darauf hindeutet, dass in der Vergangenheit Materie vom Begleitstern durch Akkretion aufgenommen wurde. Eine solche Akkretionsphase würde aber auch zu einer kreisförmigen Umlaufbahn führen. Die hingegen beobachtete Elliptizität des Orbits zeigt, dass auch der Begleitstern bereits als Supernova explodiert ist und einen zweiten Neutronenstern in diesem System erzeugt hat. Durch die Supernova-Explosion wurde zwar nicht das gesamte System auseinandergerissen, aber die Umlaufbahnen beider Komponenten wurden elliptischer.
Rekordverdächtiges System zeigt Einsteins Relativitätstheorie in Aktion
Die Forscher haben eine direkte Auswirkung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie in diesem Doppelsternsystem nachgewiesen. Wie die Umlaufbahn des Planeten Merkur um die Sonne rotiert auch die elliptische Umlaufbahn des Pulsars mit der Zeit. Während diese Rotation bei Merkur aber nur 0,0001 Grad pro Jahr beträgt, ist sie beim Orbit von J1913+1102 47.000 mal schneller; das sind volle 5,6 Grad pro Jahr. Das Ausmaß dieses Effekts, der relativistischen Periastron-Verschiebung, hängt von der Gesamtmasse des Systems von Radiopulsar und Begleiter ab und ermöglicht so die Berechnung dieser Masse.
„Mit insgesamt 2,88 Sonnenmassen haben wir einen neuen Rekord für die Gesamtmasse eines Systems mit zwei Neutronensternen“, sagt Dr. Paulo Freire, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Wir würden erwarten, dass der Pulsar mehr Masse aufweist als sein Begleiter, aber mit unseren Beobachtungen konnten wir bislang die Einzelmassen von Pulsar und Begleitstern noch nicht präzise bestimmen. Aber zukünftige Messungen sollten auch das möglich machen.“
Falls der Pulsar in der Tat wesentlich massereicher sein sollte als sein Begleitstern, würde dieses System sich deutlich von allen bis jetzt bekannten Doppelneutronensternsystemen unterscheiden. In diesem Fall könnte es sich sogar als eines der besten bekannten Laboratorien zum Test von alternativen Gravitationstheorien im Vergleich zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie erweisen.
Da der Begleitstern ebenfalls ein Neutronenstern ist, könnte er im Prinzip auch als Radiopulsar nachgewiesen werden, vorausgesetzt, dass die Geometrie stimmt und der gebündelte Radiostrahl die Erde überstreicht. Das scheint allerdings für J1913+1102 nicht der Fall zu sein. Die Forscher haben die gesamten Daten sehr sorgfältig auf Radiopulse vom Begleiter hin untersucht, jedoch vergeblich. Es wurde kein Anzeichen für Radiostrahlung vom Begleitstern gefunden.
Potentielle Quellen für LIGO
Während die beiden Neutronensterne einander umkreisen, werden die Orbits kleiner und beide nähern sich einander, da das Gesamtsystem Energie durch Abstrahlung von Gravitationswellen verliert. Die Vermessung dieses Effekts sollte die Bestimmung der Einzelmassen von Pulsar und Begleitstern möglich machen. Die Forscher hoffen, dadurch auch mehr über die wenig bekannte stellare Entwicklung in solchen Doppelsternsystemen und bisher unbekannte Eigenschaften von Materie mit der Dichte eines Atomkerns zu erfahren.
Diese Entdeckungen gewinnen eine zusätzliche Bedeutung im Zeitalter der Gravitationswellenastronomie, das im September 2015 mit dem erstmaligen direkten Nachweis von Gravitationswellen mit den LIGO-Detektoren begonnen hat. „Das Aufspüren von Doppelneutronensternsystemen ähnlich wie J1913+1102 ist wichtig für die Forschung im Bereich der Gravitationswellen. Es hilft uns, besser zu verstehen, in welchem Zeitrahmen solche Systeme miteinander verschmelzen und damit herauszufinden, wie oft Signale von kollidierenden Neutronensternen in Zukunft mit Advanced LIGO entdeckt werden können“, folgert Prof. Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie.