Hermann Nicolai erhält ERC Advanced Grant

10. April 2017

Professor Hermann Nicolai, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI), hat einen der begehrten Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Mit den dafür bewilligten Mitteln in Höhe von ca. 1,9 Mio Euro fördert der ERC Nicolais Erforschung einer vereinheitlichten Theorie der Quantengravitation. Dabei spielen Symmetrien eine entscheidende Rolle.

Zu den größten Herausforderungen der theoretischen Physik zählt die Formulierung einer Theorie, die Quantenfeldtheorie und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vereinigt. Diese zwei grundlegenden Theorien sind im Rahmen der bekannten physikalischen Gesetze nicht miteinander vereinbar. Wenn wir aber verstehen wollen, was im Innern eines Schwarzen Loches oder in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall passiert, brauchen wir eine Theorie, die beides vereint. Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik widmet sich die Abteilung Quantengravitation und Vereinheitlichte Theorien unter der Leitung von Prof. Nicolai der Suche nach einer solchen umfassenden Theorie. Nicolais innovative Forschung wird nun über fünf Jahre mit einem Advanced Grant des ERC gefördert.

„Ich freue mich sehr über diese Anerkennung meiner Arbeit!“ so Nicolai, „das ist eine hohe Auszeichnung; insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Erfolgsquote der Anträge auf dem Gebiet der mathematischen Physik wie schon in den Vorjahren sehr gering ist – es werden überhaupt nur zwei Projekte auf dem Gebiet der theoretischen Gravitationsphysik und Kosmologie gefördert.“

Mit dem ERC Advanced Grant wird Nicolai eine speziell diesem Projekt gewidmete Arbeitsgruppe aufbauen. Die Fördersumme von 1.9 Mio EURO wird dabei im Wesentlichen für die Anstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verwendet. "Es ist mir sehr wichtig, meine Begeisterung für diese grundlegenden Fragestellungen mit der jungen Wissenschaftler-Generation zu teilen", so Nicolai.

Mit Symmetrie zur „Theorie für Alles“

Sowohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als auch das Standardmodell der Quantenfeldtheorie beruhen auf Symmetrieprinzipien. Aufgrund von Symmetriebetrachtungen wurden so aus dem Standardmodell neue Elementarteilchen (wie z.B. W- und Z-Vektorbosonen) vorhergesagt, die später in Beschleunigerexperimenten nachgewiesen werden konnten. Nicolais Hypothese ist, dass die Vereinheitlichung von Gravitation und den Wechselwirkungen der Elementarteilchen nur dann zu bewerkstelligen ist, wenn man eine Symmetrie findet, die einerseits über das uns bereits Bekannte hinausgeht, andererseits aber alle bekannten Symmetrien der Physik als Teilsymmetrien enthält. Nicolais Ansatz, Gravitation und Elementarteilchenwirkungen zu vereinen, beruht auf der Symmetrie E10, einer einzigartigen unendlich-dimensionalen und auch 50 Jahre nach ihrer Entdeckung immer noch äußerst rätselhaften mathematischen Struktur. Unendlich-dimensional bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Symmetrie in unendlich vielen Dimensionen operiert (während z.B. gewöhnliche Rotationen nur im dreidimensionalen Raum operieren). Das ist nicht nur kaum vorstellbar, sondern auch mathematisch extrem schwierig zu präzisieren. Die physikalische Interpretation dieser Mathematik stellt eine vielleicht noch größere Herausforderung dar: so postuliert diese Theorie u.a., dass Raum und Zeit „emergent“ sind, d.h. sich aus einer Physik „ohne Raum und Zeit“ ergeben sollten, so wie sich z.B. die Physik makroskopischer Objekte aus der ganz anders gearteten Quantenwelt von Atomen und Molekülen ergibt. Erste Schritte dazu sind bereits getan: in der Abteilung von Prof. Nicolai wurde u.a. ein Ordnungsprinzip für die unendlich vielen Rotationsachsen entwickelt, mit dem E10 charakterisiert werden kann.

„Wir gehen davon aus, dass dieses singuläre mathematische Gebilde eine wesentliche Rolle beim Verständnis der Naturgesetze spielt“, so Nicolai. „Wir sind zwar noch weit davon entfernt, die E10-Symmetrie vollkommen zu verstehen, aber wir wissen immerhin, dass diese Symmetrie viele Erkenntnisse zusammenfasst, die wir mit der Stringtheorie und der Supergravitation seit ca. 1980 gewonnen haben. Gleichzeitig öffnet sie einen völlig neuen Zugang zum Verständnis von Urknall und Schwarzen Löchern.“

Hauptziel der weiteren Forschung ist es, herauszufinden, wie die Symmetrie E10 zu einer Theorie der Quantengravitation führen kann, was die Besonderheiten der quantisierten Theorie sind und welche physikalischen Vorhersagen daraus abgeleitet werden können.

Hermann Nicolai, geboren 1952, studierte und promovierte 1978 an der Universität Karlsruhe und habilitierte 1983 in Heidelberg. Bis 1986 war er Gastwissenschaftler und Mitglied der Theorie-Abteilung des europäischen Forschungszentrums CERN in Genf. Er folgte 1986 dem Ruf zum Professor für Theoretische Physik an die Universität Karlsruhe und 1988 an die Universität Hamburg am Institut für Theoretische Physik. Seit 1997 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam und leitet dort die Abteilung Quantengravitation und Vereinheitlichte Theorien. Er ist außerdem Honorarprofessor an der Humboldt Universität Berlin und der Leibniz Universität Hannover. Für seine wissenschaftlichen Beiträge erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, darunter 1991 den Otto Klung Preis für Physik, die Einstein-Medaille der Albert-Einstein-Gesellschaft in Bern, Schweiz 2010 und 2013 den Guy-Lussac-Humboldt Preis. 2016 wurde Nicolai mit der Ehrendoktorwürde der Schwedischen Chalmers University of Technology in Göteborg ausgezeichnet.

ERC Advanced Grants

Mit dem Advanced Grant zeichnet der European Research Council führende Wissenschaftler aus, die exzellente Forschung mit innovativen Ansätzen verbinden. Die hoch dotierte Förderung unterstützt Projekte, die das Potenzial für einen wissenschaftlichen Durchbruch auf ihrem Forschungsgebiet besitzen.

In der aktuellen Auswahlrunde wählte der ERC von 2404 Forschungsanträgen aus allen Bereichen der Wissenschaft 231 Projekte aus, das entspricht einer Erfolgsquote von 9,6%.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht