Heller als 10 Milliarden Sonnen
Wissenschaftlern am Albert-Einstein-Institut gelang die erste vollständige relativistische Simulation kollidierender Neutronensterne.
„Mit unseren Berechnungen können wir genauer als jemals zuvor zeigen, wie zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen.“, so Prof. Luciano Rezzolla, Leiter der Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie am AEI. „Neutronensterne sind hochgradig spannende Objekte. Aus physikalischer Sicht sind sie noch deutlich interessanter als Schwarze Löcher, denn die Berechnung ihres Verhaltens liefert nicht nur neue Informationen über Gravitationswellensignale, sondern auch über Gammastrahlenausbrüche, extrem kurze und energiereiche Ereignisse.“
Prof. Bernard Schutz, Geschäftsführender Direktor des AEI ergänzt: „Prof. Rezzolla und seine Forschungsgruppe haben jetzt einen außerordentlich wichtigen Beitrag geleistet, um das Verschmelzen zweier Neutronensterne zu verstehen. Die Forschungsgruppe hat während ihrer jahrelangen Arbeit auf diesem Gebiet leistungsfähigste Softwareanwendungen entwickelt. Unterstützt wurde sie dabei von der Max-Planck-Gesellschaft, die einige der schnellsten Computer für diese Forschung bereitstellte. Dank dieser Kraftanstrengungen haben wir heute bahnbrechende Resultate. Uns steht endlich eine Simulation zur Verfügung, die gesamte Physik aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie nutzt, um diese seltenen aber extrem energiereichen Ereignisse zu studieren.
Kollidierende Neutronensterne im virtuellen Datenraum
Die am AEI durchgeführten Simulationen sind das Ergebnis jahrelanger Forschung und der Entwicklung ausgefeilter Computercodes, die weltweit Standards setzen.
Die Simulationen
- liefern erstmals das vollständige Bild des gesamten Prozesses, von der Annäherung der Sterne über die heftige Verschmelzung und die Bildung eines Schwarzen Lochs, umgeben von einem Ring aus Materie. Eine solche vollständige relativistische Simulation war bislang nicht möglich.
- sind die genauesten, die jemals berechnet wurden. Sie geben den Wissenschaftlern nicht nur ein ungefähres Bild des Vorgangs, sondern liefern präzise Informationen über den komplexen physikalischen Prozess während der Verschmelzung. Insbesondere wird dabei das Auftreten von extrem starken magnetischen Feldern vorhergesagt, die zur Bildung von Plasmajets führen.
- geben Aufschluss über die Entstehung kurzer Gammastrahlenausbrüche. Es wird seit langem diskutiert, dass eine Ursache solcher Ausbrüche energiereicher Gammastrahlen in der Kollision zweier Neutronensterne unter Bildung eines Schwarzen Lochs mit einem Ring aus Materie liegen kann. Diese Annahme wurde jedoch bislang noch nie durch eine Berechnung gestützt. Aus den nun vorliegenden Ergebnissen geht jedoch klar hervor, dass der entstehende Materiering um das Schwarze Loch massiv, sehr heiß und vor allem über längere Zeit stabil ist. Das sind entscheidende Bedingungen für die Abstrahlung von Neutrinos und Antineutrinos, die bei ihrer Rekombination (der so genannten Paarvernichtung) starke Gammastrahlen emittieren.
Zwei Neutronensterne kollidieren, ein Schwarzes Loch entsteht – der Prozess im Einzelnen
Die Berechnungen und die Simulation der AEI-Wissenschaftler beginnen zu einem Zeitpunkt, an dem die Neutronensterne noch relativ weit von einander entfernt sind. Sie umkreisen einander und strahlen dabei Energie in Form von Gravitationswellen ab. Dadurch werden ihre Umlaufbahnen immer enger – die Sterne nähern sich auf einer spiralförmigen Bahn einander an. Sind sie zu nah um der Anziehung durch die Gravitation zu entkommen, kommt es zu einer äußerst heftigen, plötzlichen Verschmelzung. Es entsteht ein hypermassiver Neutronenstern, der schließlich zu einem rotierenden Schwarzen Loch kollabiert. Dieses wird umgeben von einem Ring aus heißer, dichter Materie, die so schnell herumgewirbelt wird, dass sie nicht in das Schwarze Loch hineinfällt.
Obwohl der gesamte Prozess von Annäherung, Verschmelzung und Kollaps sehr schnell verläuft, werden dabei enorme Mengen Energie frei. Tatsächlich strahlt das Doppelsternsystem in weniger als einer Sekunde mehr Energie ab als unsere Sonne in zehn Milliarden Jahren. Dementsprechend sollte dieses kosmische Großereignis auch in einem Abstand von Milliarden Lichtjahren ‚sichtbar’ sein – zumindest für leistungsstarke Detektoren.
Neutronensterne
gehören neben Schwarzen Löchern zu den faszinierendsten Objekten des Universums. Als Endergebnis der Sternenentwicklung und Überbleibsel einer Supernovaexplosion haben Neutronensterne eine etwas größere Masse als die Sonne (ca. 1,4 Sonnenmassen), die allerdings zu einer perfekten Kugel von der Größe einer kleinen Stadt mit einem Radius von 10-12 Kilometern zusammengepresst ist. Sie bestehen fast vollständig aus Kernmaterie, überwiegend aus Neutronen, die sich in mehrerlei Hinsicht extrem verhält. Beispielsweise ist ihre Dichte so hoch, dass ein Teelöffel Neutronensternmaterie so viel wie die gesamte Alpenkette wiegen würde. Gleichzeitig sind die Gravitationskräfte derart stark, dass die physikalischen Bedingungen sehr ähnlich denen in der Nähe eines Schwarzen Loches vergleichbarer Masse sind. Verständlicherweise können solche Bedingungen nicht in Laboratorien auf der Erde erzeugt werden; deswegen wissen wir bislang so wenig über diese interessanten Gebilde.
Die innere Struktur von Neutronensternen
Viele unserer Kenntnisse über Größe und Masse von Neutronensternen erhalten wir durch Satellitenbeobachtungen im Röntgen- und Gammastrahlenbereich. Die Messungen liefern uns auch Informationen über das Verhalten dieser kompakten Objekte in binären Systemen (so genannten Doppelsternsystemen), in denen sie Materie von ihrem Partnerstern abziehen. Da wir diese Informationen aus elektromagnetischen Signalen bekommen, erfahren wir jedoch nichts über die innere Struktur von Neutronensternen, sondern lediglich über ihre Oberfläche.
In der Zukunft werden jedoch elektromagnetische Signale nicht unsere einzigen Informationsquellen über Neutronensterne bleiben. Es ist bekannt, dass Doppelsternsysteme aus Neutronensternen Energie in Form von Gravitationswellen abgeben. Für die langjährige Beobachtung des Binärpulsars PSR 1913+16, bei der indirekt die Abstrahlung von Gravitationswellen nachgewiesen wurde, erhielten Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor im Jahr 1993 den Nobelpreis für Physik. Solche Doppelsternsysteme gehören zu den stärksten Quellen von Gravitationswellen und sollten bereits mit den heutigen Detektoren messbar sein – vorausgesetzt, sie sind nahe genug. Gravitationswellen werden uns im Gegensatz zu elektromagnetischer Strahlung auch Aufschluss über das Innere von Neutronensternen geben. Das Gravitationswellensignal eines Neutronensterns kann ohne Übertreibung als der ‚Stein von Rosette’ für die Entschlüsselung seines inneren Aufbaus bezeichnet werden.
Status der derzeit laufenden Gravitationswellenobservatorien
Gegenwärtig arbeiten in Europa mehrere Gravitationswellendetektoren der ersten Generation: Das deutsch-britische Observatorium GEO600 wird, finanziert von STFC1, MPG2 sowie dem Land Niedersachsen, vom AEI in der Nähe von Hannover betrieben, das französisch-italienisch-niederländische Virgo-Projekt ist in Cascina bei Pisa angesiedelt. Die Daten dieser Interferometer werden mit denen der drei amerikanischen LIGO-Interferometer zusammengeführt. Im gesamten Datenpool wird derzeit nach Gravitationswellensignalen aus astrophysikalischen Systemen gesucht.
Im Laufe des nächsten Jahrzehnts werden alle interferometrischen Gravitationswellendetektoren zu Instrumenten der zweiten Generation aufgerüstet. Die Empfindlichkeit von Virgo und LIGO in den tieferen Frequenzen (bis etwa ein Kilohertz) wird durch den Einsatz von Technologien, die unter anderem in Europa entwickelt wurden, etwa verzehnfacht. GEO600 wird insbesondere in der Breitband-Beobachtung von hohen Frequenzen Pionierarbeit leisten, auch hier durch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien.
Die Berechnung von Gravitationswellensignalen verschmelzender Neutronensterne
Abgesehen von den enormen experimentellen Schwierigkeiten, die die Messung der Gravitationswellensignale von Neutronensternen mit sich bringt, stellt auch die Berechnung dieser Signale eine große Herausforderung dar. Kennen wir jedoch die Signalformen, so steigen die Chancen für die Messung, denn dann können die Experimentalisten gezielt danach in ihren Daten suchen. Für die theoretische Vorhersage der Signale müssen allerdings Einsteins Gleichungen – ein System aus nichtlinearen, miteinander gekoppelten Differentialgleichungen – und die Gleichungen der relativistischen Hydrodynamik (diese beschreiben die Bewegung von Materie) auf riesigen Supercomputern numerisch gelöst werden.
Während der letzten fünf Jahre hat die Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie am AEI die Codes für die Berechnungen solcher Wellenformen entwickelt, wobei sowohl binäre Systeme aus Schwarzen Löchern als auch solche aus Neutronensternen untersucht wurden.
1 STFC: Science and Technology Facilities Council
2 MPG: Max Planck Gesellschaft