Ein Meilenstein für den direkten Nachweis von Gravitationswellen

Signale kollabierender Neutronensterne erstmals vollständig berechnet und das seit mehr als 40 Jahren diskutierte Problem des Blitzsignals gelöst

19. November 2006

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam-Golm berechneten jetzt erstmals ein vollständiges Gravitationswellensignal, das beim Zusammensturz eines Neutronensterns zu einem rotierenden Schwarzen Loch abgestrahlt wird - ein Meilenstein für die numerische Simulation der Einsteinschen Gleichungen. Die von Prof. Luciano Rezzolla und seinen Kollegen durchgeführten Berechnungen wurden jetzt in den Physical Review Letters veröffentlicht. Sie sind ein wichtiger Baustein für die präzise Analyse der von Gravitationswellendetektoren aufgezeichneten Datenflut und werden die Suche nach Gravitationswellen erheblich erleichtern.

In der Arbeitsgruppe Numerische Relativitätstheorie um Prof. Rezzolla werden kosmische Katastrophen und die dabei entstehenden Gravitationswellen auf modernsten Supercomputern simuliert. Ihre aktuellen Forschungsarbeiten zeigen, dass nach dem Kollaps eines Neutronensterns, ein deformiertes und rotierendes Schwarzes Loch entsteht, das oszilliert und dadurch Gravitationswellen abstrahlt. Wie eine Glocke nach dem Läuten, deren Klang immer leiser wird, nimmt die Amplitude der Gravitationswellen immer weiter ab. „Wir erhalten damit auch endlich Aussagen über das Verhalten eines Schwarzen Loches in der so genannten "ring-down phase" nach dem Gravitationskollaps“, so Prof. Rezzolla, der gemeinsam mit Dr. Luca Baiotti die Berechnungen durchführte.

Um die umfangreiche Berechung mit der zu Verfügung stehenden Rechnerkapazität zu realisieren, benutzten Rezzolla und Baiotti das so genannte "Mesh-Refinement" Verfahren. Numerische Berechnungen dieser Art werden auf so genannten Gittern durchgeführt. Je kleiner man die Zellen des Gitters definiert, umso genauer wird die Berechung. Mesh-Refinement ist ein Verfahren, dass es erlaubt, das Gitter gezielt an den Stellen zu verfeinern, an denen eine möglichst große Genauigkeit erforderlich ist. Andere Bereiche werden auf gröberen Gittern berechnet und benötigen dadurch weniger Rechnerkapazität.

Kollabierende Neutronensterne verursachen starke Gravitationswellen

Neutronensterne entstehen aus massereichen Sternen, die als Supernova explodieren. Der Sternenkern verdichtet dabei zu einem extrem kompakten Gebilde von rund 1,4 Sonnenmassen, das fast vollständig aus Kernmaterie besteht, überwiegend aus Neutronen. Wachsen Neutronensterne weiter, können sie eine kritische Masse erreichen, oberhalb derer die Gravitationskraft so groß wird, dass sie die Kernkräfte überwiegt. Der Neutronenstern fällt nun in sich zusammen und es entsteht ein Schwarzes Loch. Die dabei erzeugten Gravitationswellen sind besonders stark. Ihre Signale wird man mit der neuen Generation von Gravitationswellendetektoren voraussichtlich messen können.

Blitzsignale – ein seit mehr als 40 Jahren diskutiertes Problem wurde gelöst

Da das Gravitationswellensignal nur für eine sehr kurze Zeit (wenige Millisekunden) erscheint, wird es Blitzsignal genannt. Das Blitzsignal ist ein klassisches Problem, das seit mehr als 40 Jahren diskutiert wird. Die jetzt am AEI durchgeführten Berechnungen zeigen erstmals ein vollständiges Blitzsignal – damit wurde eine große Wissenslücke geschlossen. In allen bisherigen Berechnungen wurden entweder unrealistische physikalische Bedingungen zugrunde gelegt oder nur Anfangsbereiche des Signals simuliert, da ausreichende Computerkapazitäten für die dreidimensionale Berechnung der komplexen Systeme fehlten. Darüber hinaus verfügen die Wissenschaftler heute über ein fortgeschrittenes Wissen über Neutronensterne.

Signale, nach denen Gravitationswellendetektoren suchen

Neben den Blitzsignalen sucht man mit Hilfe der modernen Gravitationswellendetektoren nach weiteren
Signalen. Dazu gehören

  • periodische Signale wie sie von Pulsaren oder rotierenden Neutronensternen ausgesendet werden und
  • "inspiralierende" Signale, die beispielsweise von Doppelsternsystemen oder Doppel-Schwarzloch-Systemen ausgehen, deren Objekte sich auf spiralförmigen Bahnen aufeinander zu bewegen.

Der Nachweis von Gravitationswellen

Der direkte Nachweis der von Albert Einstein 1916 vorausgesagten Gravitationswellen - winzigen Verzerrungen der Raumzeit - gehört nach wie vor zu den wichtigsten offenen Fragen der modernen Wissenschaft. Sie entstehen beispielsweise beim Zusammenprall Schwarzer Löcher, bei Sternexplosionen oder beim Kollaps eines Neutronensterns zu einem Schwarzes Loch. Für den indirekten Nachweis von Gravitationswellen erhielten die beiden US-amerikanischen Physiker Hulse und Taylor 1993 den Nobelpreis für Physik.

Heute endlich sind die Gravitationswellendetektoren, große Laserinterferometer wie beispielsweise das deutsch-britische Projekt GEO600, empfindlich genug, um die schwachen Signale der Gravitationswellen messen zu können.

Literatur: 
L. Baiotti, L. Rezzolla; Challenging the Paradigm of Singularity Excision in Gravitational Collapse. Phys. Rev. Lett. 97, 141101 (2006).

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