Verschmelzende Neutronensterne berechnen
Deutsche Physikalische Gesellschaft verleiht Dissertationspreis an Tim Dietrich
Dr. Dietrich erforschte in seiner Promotionsarbeit die Gravitationswellensignale verschmelzender Neutronensterne. Gravitationswellen von Schwarzen Löchern waren bereits 2015 direkt gemessen worden. Dietrichs Ergebnisse erweitern unser Wissen über Neutronensterne und erlauben, zukünftige Messungen von Neutronensternverschmelzungen besser zu interpretieren. Dietrich machte seine Doktorarbeit von 2012 bis 2015 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und verteidigte sie dort 2016. Seit Herbst 2015 forscht er als Postdoc in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam.
Neutronensterne sind Überreste von Sternenexplosionen mit extrem starken Magnetfeldern und extrem hoher Dichte. Bei einem Durchmesser von nur 10 Kilometern kann ihre Masse mehr als das Doppelte der Sonne betragen. In seiner Doktorarbeit hat Dietrich Neutronensterne in Doppelsternsystemen untersucht, die einander auf immer enger werdenden Bahnen umkreisen und schließlich verschmelzen. Dabei wird Energie in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. In den letzten Millisekunden vor und nach der Verschmelzung treten starke Gravitationsfelder auf, die durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschreiben werden müssen.
„Die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie und der relativistischen Hydrodynamik sind für diese Neutronensternkollisionen derart komplex, dass sie für den Zeitpunkt der Verschmelzung analytisch nicht zu lösen sind“, so Dietrich. Deshalb werden die Gravitationswellen während der Verschmelzung numerisch auf Großrechnern berechnet.
Aber numerische Simulationen und analytische Modelle arbeiten bei der Berechnung der Signale Hand in Hand, denn die Suche und Analyse von Gravitationswellen erfordert detaillierte Kenntnisse über eine enorme Anzahl unterschiedlicher Wellenformen. Dafür müssen sehr viele verschiedene Parameterkombinationen – verschiedene Massenverhältnisse, Eigendrehimpulse und verschiedene Modelle für Neutronensternmaterie – berechnet werden. Dietrich zeigte erstmalig, wie der Eigendrehimpuls der Neutronensterne das Gravitationswellensignal beeinflusst.
Numerische Simulationen erlauben realistische Vorhersagen für Gravitationswellen, sie dauern aber zu lange und sind zu aufwändig, um genügend Wellenformen zu berechnen, mit denen man nach der Messung astrophysikalische Informationen aus den Signalen filtern kann. Mit seinen Forschungsergebnissen hat Dietrich geholfen, semi-analytisch berechnete Wellenformen, basierend etwa auf dem „Effective One Body-Modell“, zu verbessern. Damit können hunderttausende Wellenformen innerhalb kurzer Zeit berechnet werden. Durch Verbesserungen der semi-analytischen Lösungen war es erstmals möglich, die Form der Gravitationswellen bis zum Moment der Verschmelzung genau vorherzusagen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um Neutronensternmaterie zu untersuchen und zu verstehen.
Darüber hinaus fand Dietrich universell geltende Beziehungen zwischen der Zusammensetzung des Doppelsternsystems und der Form der Gravitationswelle. „Aufbauend auf meinen Forschungsergebnissen können wir die Physik von Neutronensternen nun besser verstehen“, erläutert Dietrich. „Neutronensterne sind das einzige "Labor", mit dem wir Materie bei Dichten untersuchen können, die größer sind als im Innern eines Atomkerns.“
Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik setzt Dietrich seine Forschungen an Neutronensternen fort. Er hat die numerischen Methoden zur genaueren Vorhersage über das zu erwartende Gravitationswellensignal verbessert. Außerdem leitet er ein großangelegtes internationales Projekt zur systematischen Analyse des möglichen Parameterraums binärer Neutronensterne. Die Studie schließt auch die Untersuchung elektromagnetischer Strahlung mit ein. Denn im Gegensatz zur Kollision Schwarzer Löcher, die ausschließlich aufgrund der dabei entstehenden Gravitationswellen beobachtet werden kann, ist die Verschmelzung von Neutronensternen auch mit anderen astronomischen Methoden zu sehen.
Dr. Tim Dietrich (geboren 1988) hat an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Physik studiert, wo er 2010 den Gustav-Mie-Bachelor-Preis bekam. 2012 schloss er sein Masterstudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ab und promovierte dort über Simulationen verschmelzender Neutronensterne. Seine Doktorarbeit verteidigte er im Jahr 2016. Aus seiner Dissertation sind zahlreiche Publikationen hervorgegangen. Während seines Studiums erhielt Dietrich ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes und ein Landesgraduiertenstipendium des Freistaates Thüringen. Seit 2015 forscht er als Postdoktorand in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ von Prof. Buonanno am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Kürzlich erhielt er ein Marie Curie Individualstipendium der Europäischen Kommission, um seine Forschungen an binären Neutronensternen fortzusetzen.
Dissertationspreise der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Die in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) organisierten Fachverbände verleihen jährlich Preise für die beste Promotion. Dr. Tim Dietrich wurde gemeinsam mit Dr. Simon Spannagel (CERN) der Preis der Fachverbände „Gravitation und Relativitätstheorie“, „Physik der Hadronen und Kerne“ und „Teilchenphysik“ zugesprochen. Der Preis wurde ihm am 29.3.2017 im Rahmen eines Festakts während der Frühjahrstagung der DGP an der Universität Münster verliehen.