Entdeckung von Gravitationswellen – Was kommt als nächstes?

Forschende aus aller Welt haben in Hannover den aktuellen Stand der Wissenschaft und die weitere Entwicklung erörtert

6. Juli 2016

Mit der ersten direkten Messung von Gravitationswellen begann vor einigen Monaten die Ära der Gravitationswellenastronomie. Auf Einladung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover diskutierten jetzt rund 150 Forschende aus aller Welt die neuesten Entwicklungen und die nächsten Schritte der Gravitationswellenforschung.

„Die Entdeckung hat WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Fachrichtungen elektrisiert, denn mit der Gravitationswellenastronomie werden wir das Universum so umfassend wie nie zuvor erkunden können,“ fasst Dr. Badri Krishnan, Leiter des lokalen Konferenzorganisationskomitees und Wissenschaftler am AEI, die Stimmung während der Konferenz zusammen.

Nach gründlicher Untersuchung der gemessenen Signale steht fest, dass

  • Advanced LIGO (aLIGO), die Datenanalyse und die Wellenformen, die zur Identifikation der Signale herangezogen werden, hervorragend funktionieren.
  • die beobachteten Gravitationswellensignale mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie übereinstimmen.
  • das Universum wahrscheinlich dicht mit schwarzen Löchern bevölkert ist.
  • demnächst regelmäßig, voraussichtlich etwa einmal wöchentlich, verschmelzende schwarze Löcher beobachten werden.
  • die Chancen gut stehen, in naher Zukunft auch Gravitationswellensignale zu messen, die von Doppelsternsystemen ausgehen, an denen Neutronensterne und/oder schwarze Löcher beteiligt sind.
  • die gemeinsame Beobachtung des Universums im Gravitationswellen- und elektromagnetischen Spektrum zeigen wird, welche kosmischen Objekte unser Universum bevölkern, wie sie entstanden sind und sich entwickeln.

„Das Potential der Gravitationswellenastronomie ist einzigartig. Wir haben auf dieser Konferenz ExpertInnen aus der theoretischen und experimentellen Forschung zusammengebracht. Die offenen Diskussionen haben eine stabile Grundlage für die Zukunft geschaffen,“ kommentierte Prof. Bruce Allen, Direktor am AEI in Hannover die Ergebnisse der Konferenz.

Hier ein Überblick über die Ergebnisse:

GW150914: Die beobachteten schwarzen Löcher

Dr. Collin Capano, AEI Hannover und Dr. Duncan Brown, Syracuse Universtiy erläuterten in ihren Vorträgen, wie die beobachteten Gravitationswellensignale untersucht wurden. Sie und Ihre Kollegen Dr. Ilya Mandel, Universität Birmingham, Prof. Tomek Bulik, Universität Warschau, PD Thomas Tauris, MPIfR, Bonn und Dr. Peter Berczik, ARI Heidelberg, gingen dabei ähnlich vor, wie ArchäologInnen: Haben diese ein Dinosaurierskelett entdeckt, bestimmen sie u.a. das Alter des Skeletts, Lebensweise und Lebensumgebung des Dinosauriers. In der Astronomie geht es entsprechend darum, wann, wo und wie die beobachteten Objekte entstanden sind und wie sie charakterisiert werden können. Schritt für Schritt schärft sich so das Bild des Geschehens.

Fest steht: Die aufgezeichneten Gravitationswellensignale von GW150914 stammen von zwei miteinander verschmelzenden schwarzen Löchern. Damit wurde erstmals nachgewiesen, dass solche Doppelsternsysteme tatsächlich existieren. Die Signale zeigen außerdem, dass schwarze Löcher mit Massen von mehr als 30 Sonnenmassen in unserem Universum vorkommen.

Theoretische Grundlagen für die Entstehung von Gravitationswellen

Gravitationswellen sind Verzerrungen der Raumzeit. Sie hinterlassen charakteristische Fingerabdrücke in den Daten der Gravitationswellendetektoren. Die Form solcher Fingerabdrücke möglichst genau vorherzusagen, ist Aufgabe der theoretischen Astrophysik. Prof. Alessandra Buonanno, Direktorin AEI in Potsdam, Prof. Luc Blanchet, Institut d’Astrophysique de Paris, Prof. Mark Hannam, Universität Cardiff und Dr. Alessandro Nagar, Institut des Hautes Ètudes Scientifiques, entwickeln deshalb Wellenformmodelle, die es ermöglichen, Gravitationswellensignale aufzuspüren. In ihren Vorträgen erörterten sie Methoden mit denen solche Modelle für kollidierende schwarze Löcher, Neutronensterne oder Pulsare berechnet werden.

Prof. Thibault Damour,Institut des Hautes Ètudes Scientifiques, Dr. Enrico Barausse, Institut d’Astrophysique de Paris und Dr. Chris van den Broeck, Nikhef, Amsterdam, diskutierten die verschiedenen Tests von Einsteins Theorie, die die erste direkte Messung von Gravitationswellen nun ermöglichte. Die Beobachtung des Doppelsystems schwarzer Löcher erlaubt es, die allgemeine Relativitätstheorie in dynamischeren und nicht-lineareren Bereichen als zuvor zu untersuchen. Damour und Barausse schlugen außerdem Modifikationen der allgemeinen Relativität vor, die sich durch zukünftige Beobachtungen testen ließen.

Datenanalyse

Wie aus den großen Datenmengen der Gravitationswellendetektoren ein Gravitationswellensignal herausgefiltert wird, zeigten Dr. Andy Lundgren, AEI Hannover, Collin Capano und Duncan Brown Schritt für Schritt werden die Daten bereinigt. Störgeräusche, die von Erdbeben auf der anderen Erdhalbkugel stammen werden ebenso herausgefiltert, wie die von einem vorbeifahrenden Motorrad oder den Instrumenten selbst. Die künftigen Herausforderungen der Datenanalyse bestehen vor allem darin, die Effizienz weiter zu verbessern und ausreichend Computerressourcen zu unterhalten. Forschende am AEI Hannover spielen auf diesem Gebiet eine weltweit führende Rolle, denn sie steuern Knowhow und Personal zur Datenanalyse in der LSC bei. Mit Atlas stellt das der LIGO Scientific Collaboration außerdem den leistungsfähigsten Computercluster in der Welt zur Verfügung. Atlas liefert rund die Hälfte der gesamten in der Kollaboration verfügbaren Rechenleistung. Zudem ist das AEI Heimat von Einstein@Home, einem der weltgrößten verteilten Rechenprojekte mit mehr als 400.000 freiwilligen Teilnehmern.

LIGO und advanced LIGO

Prof. Benno Willke, AEI und Leibniz Universität Hannover, skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung der Detektoren von LIGO zu advanced LIGO. Zwei Beispiele zeigen besonders deutlich, wie die große Präzision von aLIGO erreicht wurde: Während in LIGO das Eingangssignal der Laser bei 10 Watt lag, sind es bei aLIGO 180 Watt. Die in LIGO verwendeten Spiegel hatten ein Gewicht von 10 kg, die in aLIGO wiegen 40 kg und sind gleichzeitig besser seismisch isoliert. Willke hob hervor, dass aLIGO während seiner ersten Messkampagne im Herbst 2015 erst am unteren Ende seiner Empfindlichkeit arbeitete. Schritt für Schritt wird jetzt die Empfindlichkeit erhöht. Entsprechend regelmäßig werden demnächst Gravitationswellensignale beobachtet werden können.

Prof. Bernard Schutz, Direktor emeritus des AEI in Potsdam und Professor an der britischen Cardiff University unterstrich in seinem Vortrag die Zuverlässigkeit und Effizienz der Forschenden, die die aLIGO-Detektoren innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens und des vorgesehenen Budgets realisiert haben. Er hob auch hervor, dass fast alle Schlüsseltechnologien von aLIGO am deutsch-britischen Gravitationswellenobservatorium GEO600 entwickelt und getestet wurden.

Gravitationswellenobservatorien – nächste Schritte

Unter den Konferenzteilnehmern bestand Einigkeit darüber, dass es jetzt an der Zeit sei, den italienisch-französisch Detektor Virgo in Betrieb zu nehmen, damit Gravitationswellenquellen umfassender erforscht werden können. Voraussichtlich 2020 werden auch der japanische Detektor KAGRA und LIGO India beginnen, Daten aufzuzeichnen.

Gravitationswellenobservatorien der nächsten Generation werden eine größere Anzahl und detailliertere Beobachtungen ermöglichen. Deshalb sollte aus Sicht der Konferenzteilnehmer die Realisierung des Einstein Teleskops (ET) in Angriff genommen werden. Schließlich dauerte die Entwicklung von LIGO zu aLIGO 25 Jahre.

Gravitationswellenmessung am Boden und im Weltraum

Mit der LISA Pathfinder (LPF) Mission werden derzeit Schlüsseltechnologien für ein Gravitationswellenobservatorium im All getestet. Die Mission hat bereits bewiesen, dass die Technologien ausgesprochen erfolgreich arbeiten. Es spricht alles für ein Weltraumobservatorium LISA, das auf den getesteten Technologien basiert.

Weltraum- und bodengestützte Gravitationswellenastronomie werden sich ergänzen. So wird LISA tausende Systeme aus schwarzen Löchern entdecken, die vom Boden aus nicht zu beobachten sind. Hunderte von ihnen werden miteinander verschmelzen. LISA wird die frühen Stadien der umeinander kreisenden schwarzen Löcher bis einige Wochen vor ihrem Verschmelzen beobachten. Anschließend wird aLIGO die letzten Stadien der Annäherung und das Verschmelzen selbst aufzeichnen.

LISA könnte in rund 15 Jahren in den Weltraum starten. Jetzt ist also genau der richtige Zeitpunkt mit intensiven Vorbereitungen zu beginnen.

Kombination astronomischer Beobachtungsmethoden

Während schwarze Löcher das Hauptthema der Konferenz waren, gab es auch einige Vorträge über verschmelzende Doppelsysteme aus Neutronensternen und die möglichen elektromagnetischen Beobachtungen solcher Ereignisse.

Die WissenschaftlerInnen warten gespannt darauf, solche Gravitationswellensignale mit anderen astronomischen Methoden verfolgen zu können, das unterstrich Dr. Samaya Nissanke von der niederländischen Radboud University Nijmegen in ihrem Vortrag. Dr. Andreas von Kienlin vom MPE in Garching beschrieb die Beobachtungen eines möglichen Gammastrahlenblitz von GW150914 mittels des Fermi-Satelliten. Falls bestätigt, wäre dies sehr überraschend, sollten verschmelzende schwarze Löcher doch keine elektromagnetischen Signale aussenden.

Gravitationswellenobservatorien und Teleskope, die das Universum im elektromagnetischen Spektrum beobachten, werden künftig eng zusammen arbeiten. Ziel ist, die Quellen gemessener Gravitationswellen genauer zu lokalisieren und ein umfassendes Bild über ihre Häufigkeit, ihren Lebenszyklus und ihre Umgebung zu erhalten. Deshalb werden Gravitationswellensignale demnächst direkt an Partnerobservatorien am Boden und im Weltraum weitergeleitet, damit sie die Verfolgung in ihrem jeweiligen Frequenzspektrum aufnehmen können.

Prof. Tsvi Piran, Hebrew University of Jerusalem, Prof. Masaru Shibata, Yukawa Institute for Theoretical Physics und Dr. Kenta Kiuchi, Kyoto University diskutierten die Physik von verschmelzenden Neutronensternen und mögliche beobachtbare Signale in zukünftigen Beobachtungsläufen. Ein Beispiel: Gelingt es, zwei verschmelzende Neutronensterne zu beobachten, kann mit Gravitationswellen der gesamte Prozess von den sehr frühen Stadien an beobachtet werden. Aus den Gravitationswellensignalen wird man Informationen über die Dynamik und grundlegende Eigenschaften der Neutronensterne ableiten können.

Mit elektromagnetischen Methoden wird man vor allem die letzten Stadien des Prozesses beobachten können und aus den Signalen Informationen über die Umgebung der Quellen und die physikalischen Prozesse in der stark gekrümmten Raumzeit ableiten können.

Gravitationswellenforschung am AEI

Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) in Hannover und Potsdam und vom Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover (LUH) haben in mehreren Schlüsselgebieten entscheidend zur Entdeckung beigetragen: mit der Entwicklung und dem Betrieb extrem empfindlicher Detektoren an den Grenzen der Physik, mit effizienten Methoden der Datenanalyse, die auf leistungsfähigen Computerclustern laufen und mit hochgenauen Wellenformmodellen, um das Signal aufzuspüren und astrophysikalische Information daraus zu gewinnen.

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