Von U wie Umkreisen bis G wie Gamma-Blitz
Wissenschaftler modellieren erstmals sowohl die Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern als auch den darauf folgenden Prozess in einer einzigen Simulation.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und aus Japan zeigen mit Modellrechnungen auf Supercomputern zum ersten Mal ein in sich konsistentes Bild: Sie modellierten den kompletten Prozess des Zusammenstoßes eines Schwarzen Loches mit einem Neutronenstern. Dabei berechneten sie die Vorgänge von den letzten Umkreisungen über die Verschmelzung bis zur Phase nach der Kollision, in der nach ihren Berechnungen auch hochenergetische Gammastrahlenausbrüche auftreten können. Die Ergebnisse ihrer Studien erschienen jetzt in der Fachzeitschrift Physical Review D.
Fast sieben Jahre ist die erste Messung von Gravitationswellen inzwischen her – am 14. September 2015 empfingen die LIGO-Messgeräte in den USA das Signal von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern aus den Tiefen des Weltalls. Seitdem wurden insgesamt 90 Signale gemessen: von Doppelsystemen zweier Schwarzer Löcher oder Neutronensternen und auch von gemischten Systemen. Ist an der Verschmelzung mindestens ein Neutronenstern beteiligt, besteht die Möglichkeit, dass nicht nur die Gravitationswellen-Detektoren das Ereignis beobachten, sondern auch Teleskope im elektromagnetischen Bereich. Als bei dem am 17. August 2017 beobachteten Ereignis (GW170817) zwei Neutronensterne miteinander verschmolzen, beobachteten rund 70 astronomische Observatorien auf der Erde und im All die elektromagnetischen Signale. Bei den beiden bislang beobachteten Verschmelzungen von Neutronensternen mit Schwarzen Löchern (GW200105 und GW200115) wurden keine elektromagnetischen Gegenstücke zu den Gravitationswellen nachgewiesen. Wenn jedoch mit den empfindlicher werdenden Detektoren weitere solcher Ereignisse gemessen werden, rechnen die Forscher:innen auch hier mit Beobachtungen im elektromagnetischen Bereich. Denn während und nach der Verschmelzung wird Materie aus dem System herausgeschleudert und elektromagnetische Strahlung entsteht. Dabei entstehen vermutlich auch kurzzeitige Gammastrahlenausbrüche, die Weltraumteleskope beobachten können.
Die Wissenschaftler wählten für ihre Untersuchungen zwei verschiedene Modellsysteme aus einem rotierenden Schwarzen Loch und einem Neutronenstern. Die Massen des Schwarzen Lochs betrugen dabei 5,4 bzw. 8,1 Sonnenmassen, die Masse des Neutronensterns wurde auf 1,35 Sonnenmassen festgelegt. Diese Parameter wurden so gewählt, dass mit einem Zerreißen des Neutronensterns durch die Gezeitenkräfte zu rechnen war.
„Wir erhalten Einblicke in einen Prozess, der ein bis zwei Sekunden lang dauert – das klingt kurz, tatsächlich passiert aber in dieser Zeit sehr viel: von den letzten Umkreisungen und dem Zerreißen des Neutronensterns durch die Gezeitenkräfte, dem Auswurf von Materie, bis zur Bildung einer Akkretionsscheibe um das entstehende Schwarze Loch herum und weiteres Herausschleudern von Materie in einem Jet“, sagt Masaru Shibata, Direktor der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. „Dieser hochenergetische Jet ist vermutlich auch ein Grund für kurze Gammastrahlenausbrüche, deren Entstehung noch rätselhaft ist. Die Simulationsergebnisse zeigen auch, dass die ausgestoßene Materie schwere Elemente wie Gold und Platin bilden sollte.“
Was passiert während und nach der Verschmelzung?
Die Simulationen zeigen, dass während des Verschmelzungsprozesses der Neutronenstern durch die Gezeitenkräfte zerrissen wird. Etwa 80% der Neutronensternmaterie fällt binnen weniger Millisekunden in das Schwarze Loch, wodurch sich dessen Masse um etwa eine Sonnenmasse erhöht. In den anschließenden etwa 10 Millisekunden bildet die Neutronensternmaterie eine einarmige Spiralstruktur. Ein Teil der Materie im Spiralarm wird aus dem System herausgeschleudert, während aus dem Rest (0,2 – 0,3 Sonnenmassen) eine Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch herum entsteht. Fällt die Akkretionsscheibe nach der Verschmelzung in das Schwarze Loch, bewirkt dies einen „jetartigen“, also gebündelten, Strom elektromagnetischer Strahlung, der letztlich den Gamma-Blitz erzeugen kann.
Sekundenlange Simulationen
Um die Einsteinschen Gleichungen für den bis zu zwei Sekunden dauernden Prozess zu lösen, musste der Clustercomputer der Abteilung namens „Sakura“ etwa zwei Monate lang rechnen. „Solche allgemein-relativistischen Berechnungen sind sehr aufwändig. Deshalb haben sich Forschungsgruppen in aller Welt bisher nur auf kurze Simulationen konzentriert“, erklärt Dr. Kenta Kiuchi, Gruppenleiter in Shibatas Abteilung, der den Code entwickelt hat. „Eine durchgängige Simulation, wie wir sie jetzt erstmals durchgeführt haben, liefert hingegen ein in sich konsistentes Bild des gesamten Prozesses für einmal definierte Anfangsbedingungen des binären Systems.“
Darüber hinaus können die Forschenden nur mit solch langen Simulationen den Entstehungsmechanismus kurzer Gammastrahlenausbrüche erforschen, die typischerweise eine bis zwei Sekunden lang dauern.
Shibata und die Wissenschaftler:innen seiner Abteilung rechnen bereits an ähnlichen, aber noch komplexeren numerischen Simulationen, mit denen sie die Verschmelzung zweier Neutronensterne und die Phase nach ihrer Kollision konsistent modellieren.