Grabreden

Grabrede von Hans F. Zacher, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft 1990-1996

Die Max-Planck-Gesellschaft trauert um einen großen Gelehrten. Sie trauert um einen außergewöhnlichen Forscher. Durch ihn weiß die Wissenschaft mehr darüber, nach welchen Gesetzen sich das Weltall vollzieht. Durch ihn kann einmal die Menschheit mehr darüber wissen. Mehr über die Welt, in der wir leben. Die Max-Planck-Gesellschaft trauert auch um eine Persönlichkeit, die den Mut hatte, in ihr und für sie gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Er ging das Wagnis ein, das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm aufzubauen - unter äußeren Bedingungen, die dem Misslingen eine gute Chance gegeben hätten. Die wichtigste Bedingung für das Gelingen dagegen war er selbst. Er nutzte sie mit weltweit leuchtendem Erfolg. Die Max-Planck-Gesellschaft braucht Wissenschaftler, in denen sich beides verbindet: die herausragende wissenschaftliche Begabung und die Fähigkeit, das Leben der Korporation mitzutragen, die Autonomie auszufüllen. Dass in der Max-Planck-Gesellschaft herausragende Forscher gerade auch das leisten - Gemeinschaft, Führung, Administration, in gewissem Sinne auch Politik - macht ihr Wesen und ihre Wirksamkeit aus. Jürgen Ehlers hat dieses Gebot erfüllt. Und das Institut in Golm hat ihn darin auf das Äußerste gefordert.

So bedeutet der Tod von Jürgen Ehlers für die Max-Planck-Gesellschaft einen schweren Verlust. Aber sein Leben wird als eine kräftigende Erinnerung weiter wirken. Das Institut, das unter seiner Verantwortung aufgebaut wurde, wird seine Leistung weitertragen. Und wer immer Anlass haben wird, sich nicht nur sein Werk, sondern auch sein Leben zu vergegenwärtigen, wird darin ein Beispiel dafür finden, wie Wissenschaft geleistet werden soll. Die Max-Planck-Gesellschaft ist Jürgen Ehlers zu tiefem Dank verpflichtet. Ich sage das nicht nur in meinem Namen, sondern im Namen Vieler. Vor allem im Namen der Präsidenten, zu deren Zeiten Jürgen Ehlers daran mitgewirkt hat, dass die Max-Planck-Gesellschaft ihren Auftrag erfüllte. Insbesondere im Namen Reimar Lüsts, der sich Jürgen Ehlers auch aus fachlicher Nachbarschaft, vor allem aber auch aus der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Max-Planck-Institut für Astrophysik im München verbunden weiß, der deshalb auch hier ist. Und im Namen des gegenwärtigen Präsidenten, Peter Gruss, den zu seinem großen Bedauern andere Verpflichtungen hindern, bei uns zu sein. Er ist Jürgen Ehlers in Anerkennung und Dankbarkeit verbunden.

Ich selbst freilich trauere, indem ich von Jürgen Ehlers Abschied nehme, in ganz besonderer Weise um einen Weggefährten. Ich war von 1990 bis 1996 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, also in der Zeit, in der die Max-Planck-Gesellschaft herausgefordert war, zur Belebung der Wissenschaftslandschaft in den neuen Ländern den denkbar besten Beitrag zu leisten: einen Beitrag, der dem Land gerecht wird, dem Stand der Wissenschaft und der Max-Planck-Gesellschaft selbst. Die Wege, die hier zu gehen waren, führten durch viele Widerstände und Schwierigkeiten und drohten immer wieder, sich im Dickicht der Interessen und der Meinungsverschiedenheiten zu verlieren. Einen dieser Wege gingen Jürgen Ehlers und ich gemeinsam. Es ist hier nicht die Stunde, darüber im Einzelnen zu berichten. Nur eine Schlüsselpassage sei erwähnt. Für das Projekt "Gravitationsphysik" war Jürgen Ehlers von Anfang an der wichtigste Berater für alle Entscheidungsträger in der Max-Planck-Gesellschaft. Mehr und mehr aber zeigte sich: Jürgen Ehlers als Gründungsdirektor zu gewinnen, war eine zentrale Voraussetzung auch der Verwirklichung. Dieser aber war mittlerweile 64 Jahre alt, hatte seinen guten Platz im Max-Planck-Institut für Astrophysik in München, und die Familie lebte in Starnberg. Über Golm aber häuften sich immer wieder die Zweifel. Ich hatte ein unvergessliches, eingehendes Gespräch mit Jürgen Ehlers. Er nahm die Aufgabe an. Im April 1995 konnte das Institut eröffnet werden. Die Gründungsmannschaft hatte noch viele Schwierigkeiten vor sich. Aber Jürgen Ehlers, alsbald unterstützt auch von Bernard Frederick Schutz und Hermann Nicolai, führte sie sicher zum Erfolg.

1999 feierte Jürgen Ehlers seinen 70. Geburtstag. Es war das letzte Mal, dass ich ihm in Golm begegnete. Schon nach diesen wenigen Jahren konnte man sehen, wie kraftvoll sich das Institut entwickelt hatte, auch wie sehr es zum Mittelpunkt einer weltweiten Forschergemeinde geworden war. Jürgen Ehlers hat einen guten Acker bereitet und vorzügliche Saat darin eingebracht. Weil er ein sehr gescheiter Mensch war und ein glaubwürdiger Mensch.

Liebe Frau Ehlers, liebe Familie Ehlers.

  • Möge die Annäherung an die Wahrheit über unsere Welt, die Ihr Mann und Ihr Vater der Menschheit erschlossen hat,
  • möge der Dank, den die Gemeinde der Wissenschaft, vor allem aber die Max-Planck-Gesellschaft Ihrem Mann und Ihrem Vater zollt,
  • und möge das Andenken so Vieler, in denen die Erinnerung an ihn lebendig bleibt,

Ihnen helfen, den Verlust zu tragen, den Sie erlitten haben.

Zur Redakteursansicht