Präzise wie ein Uhrwerk: Pulsare öffnen ein neues Fenster für Gravitationswellen

Erste Hinweise auf extrem niederfrequente Gravitationswellen

29. Juni 2023

Ein internationales Team europäischer Astronom:innen unter Beteiligung der Max-Planck-Institute für Gravitationsphysik und Radioastronomie hat zusammen mit indischen und japanischen Kolleg:innen die Ergebnisse von mehr als 25 Jahren Beobachtungen mit sechs der empfindlichsten Radioteleskope der Welt veröffentlicht. In diesen Daten wurden die ersten Hinweise auf sehr niederfrequente Gravitationswellen entdeckt, die vom Gravitationswellen-Hintergrund von Paaren extrem massereicher schwarzer Löcher in den Zentren verschmelzender Galaxien stammen könnten. Diese Ergebnisse sind ein entscheidender Meilenstein zur Erschließung eines neuen, astrophysikalisch bedeutenden Bereichs des Gravitationswellen-Spektrums.

In einer Reihe von Artikeln, die heute in der Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht wurden, berichten Wissenschaftler:innen des European Pulsar Timing Array (EPTA) in Zusammenarbeit mit indischen und japanischen Kolleg:innen des Indian Pulsar Timing Array (InPTA) über die Ergebnisse von Messungen, die über einen Zeitraum von 25 Jahren durchgeführt wurden. Die Daten lassen auf neue Erkenntnisse in Bezug auf die Entstehung und Entwicklung unseres Universums und seiner Galaxien hoffen.

EPTA ist ein Zusammenschluss von Forschenden aus mehr als zehn Institutionen in ganz Europa und bringt Astronom:innen und theoretische Physiker:innen zusammen, welche die Beobachtungen der extrem regelmäßigen Pulse von erloschenen Sternen, so genannten Pulsaren, nutzen, um einen Gravitationswellen-Detektor von der Größe einer Galaxie zu aufzuspannen.

Ein gigantischer Gravitationswellen-Detektor

Pulsare sind ausgezeichnete natürliche Uhren. Die Forschenden nutzen die beeindruckende Regelmäßigkeit ihrer Signale, um nach winzigen Veränderungen in ihrem Ticken zu suchen und so die minimalen Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit durch Gravitationswellen aus dem fernen Universum zu entdecken. Dieser riesige Gravitationswellen-Detektor, der sich von der Erde bis zu 25 ausgewählten Pulsaren in der gesamten Galaxis erstreckt, ermöglicht die Untersuchung von Gravitationswellen-Frequenzen, die weit unter denen in anderen Experimenten gemessenen liegen. Die Beobachtungen werfen Licht auf das Gravitationswellen-Universum im Nanohertz-Bereich und enthüllen einzigartige Quellen und neue Phänomene. 

„In den von uns analysierten Daten fanden wir Hinweise auf einen Gravitationswellen-Hintergrund“, sagt Jonathan Gair, Gruppenleiter in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam und Mitautor der Veröffentlichung. Der wahrscheinlichste Ursprung dieses Hintergrunds ist die kosmische Verteilung von Doppelsystemen schwarzer Löcher mit der millionen- bis milliardenfachen Masse der Sonne, die bei der Verschmelzung von Galaxien entstehen. Diese völlig neue Quelle von Gravitationswellen kann von bodengebundenen Gravitationswellen-Detektoren nicht beobachtet werden.

„Die Analyse der Daten von Pulsar Timing Arrays wird dadurch erschwert, dass PTAs astrophysikalische Objekte als Detektoren verwenden“, erläutert Gair. „Es gibt viele verschiedene Rauschquellen, die die Pulsare selbst mitbringen und die bei der Suche nach der Signatur der Gravitationswellen berücksichtigt werden müssen. Das Signal selbst ist darüber hinaus zufällig, so dass es wie Rauschen aussieht“. Der Hinweis auf einen astrophysikalischen Hintergrund ergibt sich aus bei allen untersuchten Pulsaren gefundenen Rauschen mit ähnlichen Eigenschaften. Die Besonderheit des Gravitationswellen-Ursprungs liegt in der Art und Weise, wie die Amplitude des Signals zwischen verschiedenen Pulsaren korreliert. Diese Korrelation wird nun in den Daten sichtbar.

Ein einzigartiger Datensatz durch koordinierte Zusammenarbeit

Die Ergebnisse beruhen auf jahrzehntelangen koordinierten Beobachtungskampagnen mit den fünf größten Radioteleskopen in Europa. Dabei handelt es sich um das 100-m-Radioteleskop in Effelsberg bei Bonn in Deutschland, das Lovell-Teleskop des Jodrell Bank Observatory in Großbritannien, das Nançay-Radioteleskop in Frankreich, das sardische Radioteleskop in Italien und das Westerbork Radio Synthesis Telescope in den Niederlanden. Einmal pro Monat nehmen die europäischen Teleskope auch gemeinsam Daten auf, um eine höhere Empfindlichkeit zu erreichen, vergleichbar mit dem größten Radioteleskop der Welt. Diese Beobachtungen wurden durch weitere Daten vom Giant Metrewave Radio Telescope des InPTA ergänzt, was zu einem einzigartig genauen Datensatz führte. Die aktuellen Ergebnisse beziehen sich auf eine Gruppe von 25 Pulsaren, die ausgewählt wurden, weil sie am empfindlichsten für einen Gravitationswellen-Hintergrund sind.

Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, betont: „Die Daten des Effelsberger Teleskops reichen mehr als 25 Jahre zurück. Das ist wichtig, denn es macht das EPTA einzigartig empfindlich für die niedrigsten untersuchten Frequenzen“.

Die Bekanntgabe der EPTA-Ergebnisse erfolgt in Abstimmung mit ähnlichen Veröffentlichungen anderer Kollaborationen weltweit, nämlich der in Parkes ansässigen australischen, der chinesischen und der nordamerikanischen Pulsar Timing Array (PTA)-Kollaborationen, abgekürzt PPTA, CPTA bzw. NANOGrav. Die Astronom:innen sind sich sicher, dass es sich bei dem, was sie sehen, um Signaturen von Gravitationswellen handelt, da ihre Ergebnisse mit ähnlichen Daten und Ergebnissen in allen PTA-Kollaborationen übereinstimmen und von diesen bestätigt werden.

„In unserem vorhergehenden Datensatz sahen wir Hinweise auf ein gemeinsames Rauschen in den Pulsaren, konnten aber dessen Ursprung nicht erklären“, sagt Lorenzo Speri, Doktorand in der Abteilung „Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie“ und Mitautor der Veröffentlichung. „Aber jetzt beginnen wir interessanterweise das charakteristische Korrelationsmuster zu sehen, das auf einen Gravitationswellen-Hintergrund hinweist. Wir freuen uns auf neue Erkenntnisse, die sich in den kommenden Jahren aus der Interpretation der Ergebnisse ergeben werden.“

Der einzigartig lange und umfassende EPTA-Datensatz verspricht durch die Erweiterung des untersuchten Frequenzfensters den besten Einblick in die Physik verschmelzender Galaxien zu geben. Die Länge des Datensatzes ermöglicht es, Gravitationswellen bei Frequenzen zu untersuchen, die so langsam sind wie eine Schwingung alle 30 Jahre. Gleichzeitig erlaubt die Häufigkeit der Beobachtungen, Frequenzen von mehreren Schwingungen pro Monat zu untersuchen. Dadurch ermöglicht der EPTA-Datensatz die Untersuchung von Doppelsystemen schwarzer Löcher mit Umlaufzeiten von Monaten bis hin zu mehreren Jahrzehnten.

Die heute vorgestellte Analyse der EPTA-Daten entspricht den Erwartungen der Astrophysiker:innen. Nichtsdestoweniger besteht der Goldstandard in der Physik für die Entdeckung eines neuen Phänomens darin, dass das Ergebnis des Experiments mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als einem Mal pro Million zufällig eintritt. Das von EPTA – wie auch von den anderen internationalen Kollaborationen – gemeldete Ergebnis erfüllt dieses Kriterium noch nicht, aber die Arbeit daran ist bereits im Gange: Forschende der meisten führenden PTAs kombinieren ihre Datensätze unter der Federführung des International Pulsar Timing Array. Ziel ist es, die vorhandenen Datensätze zu erweitern. Dafür werden Daten von insgesamt mehr als 100 Pulsaren genutzt, die mit dreizehn Radioteleskopen beobachtet werden und mehr als 10.000 Beobachtungen für jeden Pulsar umfassen. Diese Daten sollten es den Astronom:innen ermöglichen, einen unwiderlegbaren Beweis für das Vorhandensein eines Gravitationswellen-Hintergrunds bei Nanohertz-Frequenzen zu erbringen.

Zur Redakteursansicht