Sind wir bereit für die kommenden Gravitationswellen-Beobachtungskampagnen?

Eine Studie, publiziert in Physical Review X von AEI-Forschenden zeigt, dass selbst die fortschrittlichsten Wellenformmodelle systematische Fehler verursachen können, wenn mit ihnen wichtige Eigenschaften von Schwarzen Löchern bestimmt werden.

21. Oktober 2025

Auf den Punkt gebracht:

  • Gemessen: Forscher*innen verwenden Wellenformmodelle – berechnete Gravitationswellen-Ereignisse – um mit ihnen Rückschlüsse auf die Masse, den Drehimpuls und die Position von Schwarzen Löchern zu ziehen und sich so auf zukünftige Beobachtungen vorzubereiten.
  • Verschätzt: Die Modelle schätzen diese Werte oft falsch ab, insbesondere wenn eines oder beide Schwarze Löcher ähnlich wie Kreisel präzedieren oder wenn sich ihre Massen erheblich unterscheiden.
  • Diese Ungenauigkeiten können unser Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Doppelsystemen Schwarzer Löcher beeinträchtigen und sich auf Messungen auswirken, mit denen die Ausdehnungssrate des Universums ermittelt wird.

Gravitationswellen von verschmelzenden Schwarzen Löchern können helfen, wichtige astrophysikalische, kosmologische und grundlegende physikalische Fragen zu beantworten. Wie entstehen Schwarze Löcher und wie entwickeln sie sich? Wie schnell dehnt sich unser Universum aus? Gilt Einsteins allgemeine Relativitätstheorie auch im Bereich starker Gravitationsfelder?

Forschende verwenden zur Analyse der Daten von diesen Verschmelzungen modernste Wellenformmodelle, um die komplexe Dynamik dieser Systeme zu simulieren und sie mit den Beobachtungsdaten abzugleichen. Aber woher wissen Wissenschaftler*innen, dass ihre Modelle genau sind und welche Parameter die Genauigkeit der Modelle beeinflussen? Weil die Detektoren immer empfindlicher werden, müssen sich die Forschenden bei der Interpretation der Daten mehr denn je auf die hohe Genauigkeit ihrer berechneten Wellenformen verlassen. Um künftige Beobachtungsläufe von Einrichtungen wie LIGO, Virgo, KAGRA und den kommenden Cosmic Explorer und Einstein-Teleskop vorzubereiten, wird die Zuverlässigkeit dieser Modelle immer wichtiger.

In einer neuen Studie haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) im Potsdam Science Park herausgefunden, dass modernste approximative Wellenformmodelle systematische Fehler verursachen können. Nutzt man sie, um die Eigenschaften von verschmelzenden Schwarzen Löchern und Neutronensternen zu bestimmen, können sie die Schätzungen wichtiger astrophysikalischer Parameter erheblich verzerren. Zu diesen Parametern zählen die Massen, Drehimpulse und Entfernungen der verschmelzenden Objekte sowie der abgeleitete Wert der Hubble-Konstante, die die Geschwindigkeit misst, mit der sich das Universums ausdehnt. Die Studie zeigt, dass die hochmodernen Wellenformmodelle zwar versuchen, die Komplexität realer astrophysikalischer Systeme zu erfassen, aber dennoch keine ausreichend genaue Beschreibung für die sehr präzisen Beobachtungen liefern, die in Zukunft erfolgen sollen.

„Selbst die fortschrittlichsten Modelle sind für bevorstehende Beobachtungsläufe nicht genau genug“, sagt Arnab Dhani, Postdoktorand in der Abteilung für Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie am AEI und Hauptautor der Studie. „Systematisch falsche Abschätzungen der Eigenschaften von Schwarzen Löchern treten insbesondere dann auf, wenn sich die Massen der Komponenten in einem Doppelsternsystem deutlich unterscheiden und eines oder beide Schwarzen Löcher schnell rotieren. Systematische Fehler können unser Verständnis davon, wie solche Systeme Schwarzer Löcher entstehen und sich entwickeln, verfälschen“, fügt er hinzu. „Um solche möglichen Fehler über verschiedene, modernste Wellenformmodelle hinweg zuverlässig vorherzusagen, mussten auch die bisher verwendeten Techniken für die Datenanalyse entscheidend verbessert werden“, sagt Sebastian Völkel, ebenfalls Postdoktorand derselben Abteilung und Mitautor der Studie.

Auswirkungen auf die Kosmologie

Die systematischen Fehler können auch tiefgreifende Auswirkungen auf die sogenannte „Hubble-Spannung“ haben – die wachsende Diskrepanz zwischen verschiedenen, unabhängigen Messungen der Hubble-Konstante. Einige Methoden, die auf dem kosmischen Mikrowellenhintergrund basieren, deuten auf eine langsamere Ausdehnungsrate hin als Methoden, die Supernovae verwenden. Beobachtungen von sogenannten Gravitationswellen-Standardsirenen liefern eine dritte unabhängige Messung, die die Möglichkeit bietet, den Widerspruch aufzulösen. Allerdings sind dafür genaue Messungen der Entfernung und der Position des Ereignisses am Himmel erforderlich, um die Galaxie zu identifizieren, in der das Ereignis stattfindet. Die Forschenden zeigen anhand eines Beispiels, wie aktuelle Wellenformmodelle zu einer ungenauen Lokalisierung des Ereignisses führen können, was sich auf die Messung auswirkt (siehe Abbildung 1).

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass systematische Fehler in der Gravitationswellen-Modellen erheblich zur Hubble-Spannung beitragen könnten, was die Glaubwürdigkeit der Standard-Sirenen-Methode beeinträchtigen könnte. „Die Standard-Sirenen-Methode in der Gravitationswellen-Astronomie ist für die Kosmologie äußerst vielversprechend, aber ihr Erfolg hängt von der Genauigkeit unserer Wellenformmodelle ab“, erklärt Alessandra Buonanno, Mitautorin der Veröffentlichung und Direktorin der Abteilung für Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie. „Wenn wir Drehimpuls, Gezeitenverformungen oder asymmetrische Massenverhältnisse nicht berücksichtigen, machen wir nicht nur kleine Fehler – wir interpretieren möglicherweise die Ausdehnungsgeschichte des Universums falsch.“

Neutronensterne oder Schwarze Löcher?

Eine falsch interpretierte Gravitationswellen-Beobachtung kann sich auch auf die Kernphysik auswirken. Neutronensternverschmelzungen sind die einzigen astrophysikalischen Phänomene, bei denen Wissenschaftler die Entstehung schwerer Elemente wie Gold und Uran beobachtet haben. Eine genaue Messung der maximalen Neutronensternmasse würde unser Verständnis von Materie im Bereich von Dichten erweitern, die sich in menschlichen Experimenten auf der Erde nicht erreichen lassen. Die Forschenden fanden heraus, dass ungenaue Massenmessungen dazu führen können, dass Schwarze Löcher als Neutronensterne identifiziert werden, was unser Verständnis von extrem dichter Materie verfälscht.

Einsteins Theorie auf dem Prüfstand

Die Verschmelzung von Paaren Schwarzer Löcher bietet eine der besten Möglichkeiten, um Einsteins allgemeine Relativitätstheorie unter Extrembedingungen zu überprüfen. Die Theorie sagt genau voraus, wie viel Energie bei solchen Kollisionen freigesetzt wird und wie groß die Masse des verbleibenden Schwarzen Lochs ist. Die Wissenschaftler*innen fanden jedoch heraus, dass Ungenauigkeiten im Modell zu falschen Vorhersagen dieser Größen führen können, was zu offensichtlichen Unstimmigkeiten mit den beobachteten Daten führt. Es ist entscheidend, die Relevanz systematischer Effekte zu quantifizieren. Nur so lässt sich beurteilen, ob mögliche zukünftige Tests, die (potenziell revolutionäre) Abweichungen von der allgemeinen Relativitätstheorie behaupten, tatsächlich auf neue Physik jenseits von Einsteins Theorie zurückzuführen sind.

Genauere Wellenformmodelle für zukünftige Beobachtungsläufe

Zukünftige Beobachtungsläufe an aktuellen Detektoren wie LIGO, Virgo und KAGRA werden voraussichtlich Tausende von Verschmelzungen von Paaren Schwarzer Löcher nachweisen. Observatorien der nächsten Generation, wie Cosmic Explorer und das Einstein-Teleskop, werden fast alle Verschmelzungen von Doppelsystemen Schwarzer Löcher stellaren Ursprungs im Universum nachweisen, insgesamt Millionen. Die genaue Bestimmung der Eigenschaften von Schwarzen Löchern ist unerlässlich, um die vielversprechenden wissenschaftlichen Ziele der Gravitationswellen-Astronomie zu erreichen. Durch die Identifizierung der problematischsten Bereiche im Parameterraum der Schwarzen Löcher liefern die Forschenden einen Fahrplan für die Verbesserung der Wellenformgenauigkeit in der Zukunft. Das ERC-Synergy-Grant-Projekt „Making Sense of the Unexpected in the Gravitational-Wave Sky” hat sich zum Ziel gesetzt, diese Herausforderung hinsichtlich der Genauigkeit anzugehen, um Rückschlüsse auf die Eigenschaften der Quellen von Gravitationswellen zu ermöglichen, die nur durch die Messunsicherheit begrenzt sind.
 

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